Leseprobe
143 Das Skizzenbuch eines Künstlers ist ein besonde- res Objekt. Seite für Seite werden zeichnend Ideen entfaltet und von verschiedenen Perspektiven be- leuchtet, aber auch einzelne künstlerische Über- legungen können als Solitäre darin zusammen- kommen. Auf komprimiertem, da durch eine kon- krete Seitenanzahl begrenzt, und zugleich ausge- weitetem Raum ereignet sich ein künstlerisches Nachdenken, das durch seinen häufig beiläufigen, »unfertigen« Charakter eine starke Unmittelbar- keit suggeriert. Weil so ein Buch oder Block oder Heft1 ein Gedächtnisort des Künstlers zu sein scheint – und dies doch nicht allein eine Illusion romanti- sierender Betrachter ist? –, ist es kaum möglich, sich der intimen Aura zu erwehren, obwohl die Sehnsucht nach der Begegnung mit dem »Künstler- genie« seit dem 20. Jahrhundert doch abhanden- gekommen sein sollte. Eine Übersicht Im Folgenden werden drei Skizzenblöcke Hans Arps (1886–1966) untersucht, die Teil der Samm- lung der Stiftung Arp e.V. sind.2 Darin sind insge- samt 61 Skizzen enthalten, aus denen für die Über- legungen in diesem Aufsatz eine Auswahl getrof- fen wurde. Sie waren noch nicht Gegenstand der Forschung, nur vereinzelt wurde bisher in der Lite- ratur auf einige wenige Blätter eingegangen.3 Anders verhält es sich mit dem »Trierer Skizzen- buch«, das nicht etwa so heißt, weil es dem Kunst- historiker und Arp-Forscher Eduard Trier (und nun seinem Nachlass) gehörte, sondern weil Hans Arp im Jahr 1961 damit eine Reise nach Trier und zu den dortigen römischen Ruinen zeichnerisch begleitete. Der Skulpturenexperte Trier hat die Ge- nese und kunsthistorische Einordnung in einem wichtigen Aufsatz festgehalten und eine erste Grundlage für die Beschäftigung mit dieser beson- deren Form von Arbeiten auf Papier im umfang- reichen und vielseitigen Gesamtwerk Arps gelegt.4 Neben diesem Skizzenbuch und den dreien in der Stiftung Arp e.V. wird der überwiegende Teil der erhaltenen Blöcke in der Fondazione Marguerite Arp-Hagenbach in Locarno aufbewahrt. Diese 20 Blöcke sind 2014/15 in Kooperation mit der Stif- tung in Locarno im Kunstmuseum Appenzell aus- gestellt worden, eine kleine Publikation begleitete die Schau.5 Unmittelbar vor der Veröffentlichung steht nun die komplette Herausgabe der faksimi- lierten Skizzenbücher aus Locarno, ediert von Rai- ner Hüben und Roland Scotti.6 Soweit sie bekannt sind, werden die Skizzenblö- cke Hans Arps somit umfassend, wenn auch sicher nicht erschöpfend beleuchtet und ein Desiderat wird behoben – ein glücklich stimmender Zustand und wiederum Ausgangspunkt für weitere dring- liche Forschungen am zeichnerischen und auch malerischen Werk des Künstlers, das, abgesehen vom Verzeichnis der grafischen Arbeiten, bisher nicht systematisch katalogisiert und bearbeitet worden ist.7 Datierungen Rollen wir von hinten auf: Wann die drei Skizzen- blöcke in Berlin in die Sammlung des Vereinsgrün- ders Johannes Wasmuth kamen, ist nicht exakt zu datieren. 1976, ein Jahr vor der Gründung der Stif- tung Arp e.V., waren zeitweilig 13 Skizzenbücher von Hans Arp im von Wasmuth geführten Bahnhof Rolandseck – »zur Drucklegung«, wie es in einem Listendokument im Archiv des Vereins heißt.8 Zu klären, welche Drucklegung gemeint sein könnte, stellte sich bisher als erfolglos heraus. Auch ob unter den 13 Skizzenbüchern die drei aus dem heu- tigen Vereinsbesitz waren, lässt sich nicht mit Si- cherheit bestimmen, da die Angaben auf der Liste von 1976 zu uneindeutig sind. Festzuhalten ist im- merhin: Die 13 Hefte kamen aus Locarno nach Rolandseck, nicht wie die meiste Kunst aus dem Nachlass Arps aus Clamart (allerdings erst nach Stiftungsgründung 1977) – und sie müssen zum Großteil, wenn nicht vollständig, auch wieder nach Locarno zurückgesandt worden sein angesichts der großen Anzahl dort vorhandener Skizzenbücher. Der Vollständigkeit halber ist hinzuweisen auf lose, aus einem Skizzenbuch ausgerissene Blätter in der Sammlung der Stiftung Arp e.V., auf denen Arp archaische Torsi und Gesichter im strengen Profil ägyptischer Wandmalerei gezeichnet hat und die laut der Dokumentation des Vereins während einer der beiden Griechenlandreisen (1952, 1955) entstan- den sein sollen. Allerdings – vielleicht sogar eher – ist als Entstehungsort auch Kairo in Betracht zu ziehen, wo der Künstler 1960 war. Die Maße dieser losen Blätter lassen sich nicht mit den Angaben auf Abb. 1 Hans Arp, der »Grüne Block«, Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth (Inv.-Nr. 003.887)
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