Leseprobe
147 auch im sitzenden Akt folglich formale Aspekte von Picassos Jahrhundertbild reflektiert. Das Mo- tiv dreier Akte griff er 1961 in der Skulptur »Drei Grazien« (Trier WV 263), wenngleich formal stark verändert, auf. In der zeitgleich zur Arp-Retrospektive im Mo MA eröffnenden Ausstellung »Works of Art: Given and Promised« wurde ein Gemälde gezeigt, das sich zu den »Demoiselles« antagonistisch verhält, aber motivisch durchaus mit diesem verwandt ist, denn auch darin geht es um eine Gruppe von weib- lichen Akten und deren Zurschaustellung: Pierre- Auguste Renoirs »Urteil des Paris« von 1908 (Abb. 13) .18 Renoirs Körperformulierungen sind beinahe ausschließlich gerundet. Hier gibt es keine Kanten, nur geschwungene Volumina. Dies griff Arp in seiner nächsten Zeichnung im blauen Skiz- zenblock auf (Abb. 11) : Quantitativ verschieden von Renoir, aber vergleichbar mit den »Demoi- selles«, stehen darin nun vier Akte, deren Ober- körper aus mal stärker, mal flacher gewellten Li- nien aufgebaut sind. Auch die Beine hat Arp ur- sprünglich in diesem Sinne gestaltet, dann aber wegradiert und sie stattdessen aus geraden und gewölbten Linien formuliert. Zwei Linien auf die- sem Blatt sind markanter, weil dunkler gezeichnet, als die anderen: Die stark gewölbte Vorderseite des linken Ober- und Unterschenkels der zweiten Figur von links sowie der ebenso stark gewölbte Rücken des rechts davon stehenden Akts. Exakt diese kon- vexen und konkaven Linien finden sich auch im »Urteil des Paris«. Darin hat Renoir das linke Bein des rechtsstehenden Akts und dessen rechten Arm als harmonisch geschwungene, aufeinander abge- stimmte Körperlinien gemalt. Arp übernahm die- sen überaus ausgewogenen Rhythmus der Form in seine Zeichnung. Doch damit ist die Resonanz von Arps Besuch im MoMA im Skizzenblock noch nicht erschöpft. Auf einem nächsten Blatt zeichnet er einen Kopf im Profil aus verstärkten, da übereinander gefügten Linien (Abb. 12) . Es ist denkbar, dass Arp das Ge- sicht samt der verzweigten Binnenstruktur aus der Dynamik einer einzigen Handbewegung gezeich- net hat: Auch wenn die Linien zum Teil voneinan- der abgesetzt sind, wird die Form doch letztlich aus einer Linie entwickelt. In der Arp-Retrospek- tive waren zwei »Automatische Zeichnungen« von 1916 bzw. 1918 ausgestellt, deren schmaler und breiter werdende Linienstruktur Arp in der Ge- staltung dieses Kopfes aufgreift.19 Besonders mar- kant sind die großen, ausdruckslosen Augen sowie die herauskragende Stirn, Nase und Unterlippe. In der Sammlung des MoMA findet sich das Refe- renzbild dazu, und auch dieses war ab dem 8. Ok- tober 1958 ausgestellt: Paul Klees »Oder der ver- spottete Spötter« von 1930 (Abb. 10) .20 Der Kopf des Spötters ist tatsächlich aus einer einzigen Linie geformt. Die Haare, das Innere der Augen sowie der Mund bestehen aus eigenen Linienstrukturen. Abb. 8 Hans Arp, Drei Akte, Blatt 3 im »Blauen Block« Abb. 9 Pablo Picasso, Les Demoiselles d’Avignon, 1907, Öl auf Leinwand, 243,9×233,7 cm, Museum of Modern Art, New York (Inv.-Nr. 333.1939)
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