Leseprobe

183 Bernhard Heiliger (1915–1995) prägte mit seinen Skulpturen das Erscheinungsbild der Bundesrepu- blik Deutschland in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er war – wie vielleicht noch Hans Uhlmann (1900–1975) und Karl Hartung (1908–1967) – als Bildhauer maßgeb- lich beteiligt an den großen, repräsentativen Pro- jekten in den Jahren des Wiederaufbaus. Bis heute befinden sich zahlreiche Skulpturen an zentralen Plätzen im öffentlichen Raum. Zu ihnen gehören die »Flamme« (1962/63) auf dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin, »Auftakt« (1962/63) in der Berliner Phil- harmonie, »Panta Rei« (1962/63) in der Deutschen Botschaft in Paris, das »Auge der Nemesis« (1979/80) auf dem Lehniner Platz vor der Neuen Schaubühne Berlin sowie »Tag und Nacht« (1983) in Stuttgart. Von der Bundesrepublik Deutschland erhielt Bern- hard Heiliger 1967 den Auftrag, für den von Paul Baumgarten neu gestalteten Reichstag in Berlin (West) eine Plastik zu entwerfen und auszuführen, den späteren »Kosmos 70« (Abb. 1) . In den frühen 1960er-Jahren kommt es zu einemWendepunkt im Denken Bernhard Heiligers. In diesem Prozess bil- den die »Flamme« und »Kosmos 70« (1963–1969) im bildhauerischen Werk den Anfangs- und End- punkt. Zeitlich parallel zur Arbeit an der Groß- plastik für den Reichstag, mit deren Entwurf Bern- hard Heiliger spätestens 1963 beginnt, entstehen zahlreiche Zeichnungen. Sie weisen auf künstleri- sche Themen hin, die in ihrem Ausdruck überra- schen, insbesondere im Vergleich zur Hängeplastik »Kosmos 70«. Womit beschäftigen sich die Zeich- nungen an dieser für Bernhard Heiliger so wichti- gen künstlerischen Wegmarke? Welche Stellung be­ sitzen sie, und geben sie Anhaltspunkte zum wei- teren Verständnis der Hängeplastik, einemWerk von außerordentlicher auch kulturpolitscher Bedeutung? Bevor diese Fragen anhand einiger Blätter exem- plarisch beleuchtet werden sollen, sei zunächst zum besseren Verständnis die Laufbahn des Künst- lers in wenigen Stichworten skizziert. Bernhard Heiliger wird 1915 als Sohn einer Kaufmannsfami- lie in Stettin geboren und macht nach der Schule eine Ausbildung zum Steinbildhauer. Anschlie- ßend studiert er an der Stettiner Werkschule für Gestaltende Arbeiten von 1933 bis 1936 bei dem Bauhausschüler Klaus Schwerdtfeger (1904–1970). Nach ersten Erfolgen als Künstler geht er nach Ber- lin und studiert abermals von 1938 bis 1941 an der Staatlichen Hochschule der Künste (heute Univer- sität der Künste Berlin) in der Klasse von Arno Breker (1900–1991), für den er als Assistent auch in dessen Bildhauerwerkstätten in Wriezen tätig wird. Heiliger wird in den Kriegsdienst eingezo- gen, kann zwischenzeitig zur Bildhauerei zurück- kehren und flieht dann gegen Ende des Kriegs vor der Wiedereinberufung.1 Nach 1945 entwickelt sich Bernhard Heiligers künstlerische Laufbahn in raschem Tempo. Erste Ausstellungen, unter anderem bei Karl Buchholz (1901–1992) und in den Galerien Gerd Rosen und Anja Bremer, machen ihn bekannt. Von 1946 bis 1949 lehrt er an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee. 1949 wird er durch Karl Hofer (1978–1955) als Professor an die Hoch- schule für bildende Künste berufen, wo er bis 1986 Generationen von Bildhauern ausbildet. 1956 wird Bernhard Heiliger zusammen mit Rudolf Belling und Hans Uhlmann als Mitglied der Akademie der Künste berufen. Im selben Jahr wird er durch seine Teilnahme an der Biennale in Venedig bereits brei- teren Kreisen bekannt. Regelrecht berühmt macht ihn die 1956/57 geschaffene Skulptur »Figuren- baum« für den Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel, dessen Architekten Sep Ruf (1908–1982) und Egon Eiermann (1904–1970) waren. Das Werk Bernhard Heiligers wird in zahlreichen internationalen Ausstellungen präsentiert, so bei- spielsweise auf der Saõ Paulo Biennale (1953), der documenta in Kassel (1955, 1959, 1964) und der Biennale von Venedig (1956). Er erhält zu Lebzeiten Auszeichnungen wie den Anerkennungspreis des Institute of Contemporary Arts, London (1953), das Große Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1974) und den Lovis-Corinth-Preis des Bundesministeriums des Inneren (1975). Einzelausstellungen werden aus- gerichtet unter anderem von der Akademie der Künste Berlin (1975), dem Wilhelm-Lehmbruck- Museum Duisburg (1985), den Staatlichen Museen zu Berlin (1991), der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn (1995), dem Nationalmuseum Stettin (1998, 2007) und dem Martin Gropius Bau Berlin (2005). Bernhard Heiliger ist Anfang der 1960er-Jahre also einer der angesehensten Künstler der Bundes- republik Deutschland. Der Zeitraum zwischen der Fertigstellung der »Flamme« und der Aufhängung des »Kosmos 70«, diesen beiden auch kulturpoli- tisch wichtigen Werken, ist künstlerisch von gro- ßen Veränderungen geprägt. 1962 entstehen erst- mals Zeichnungen, die nicht mehr in der Ausein- andersetzung mit abstrahierten vegetativen Formen Abb. 1 Bernhard Heiliger vor »Kosmos 70«, Fotografie, Bernhard-Heiliger-Stiftung, Berlin

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