Leseprobe

Aufbau und Ikonographie 13 Der Stammbaum Christi findet im Mittelteil des Reta- bels seine Vollendung, indem er mit dem Motiv der Heili­ gen Sippe verbunden wird. Zunächst führen starke Äste nach beiden Seiten zu den Halbfiguren von Jojada und Zorobabel. Jojada schaut energisch angespannt nach oben zur Geburt des Erlösers (Abb. 6) . Der Hohepriester hatte das Königtum davidscher Linie wieder durchgesetzt und den Tempel von Götzenbildern bereinigen lassen. Zoroba- bel, auch ein Nachkomme Davids, schaut dagegen mit gönnerhafter Geste auf den Stammbaum. Er gilt als Erneu- erer des Gesetzes und Wiedererbauer des göttlichen Tem- pels (Abb. 7) . Im Zentrum des Retabels stehen Anna und Joachim als direkte Vorfahren des Gottessohnes mütterlicherseits (Abb. 12) . Joachim verweist demütig auf Anna und betont damit ihre besondere Rolle. Entsprechend dem Wortlaut in Jacobus de Voragines Legenda Aurea von der dreimaligen Vermählung Annas, sind neben Maria, der Tochter aus erster Ehe, auf den Seitenteilen des Retabels auch die ge- nealogischen Linien aus der zweiter und dritter Ehe darge- stellt. So befinden sich links die Büsten von Maria Cleophas und Gemahl Alphäus mit ihren vier Kindern (Abb. 8, 10) , während rechts Maria Salome mit Gemahl Zebedäus, ge- folgt von den Kindern Jakobus und Johannes dargestellt sind (Abb. 9, 11). Letztere sind mit den Attributen Muschel und Kelch als die späteren Apostel gekennzeichnet. Unter den vier Kindern von Maria Cleophas auf der linken Seite sind durch die beigefügten Attribute (Säge und Walkerstan- ge) die späteren Apostel Simon Zelotes und Jakobus d. J. identifizierbar. Anna und Joachim in der Retabelmitte sind von einem dichten Geflecht aus Spruchbändern und Stam- mesästen umgeben, welche nach oben in zwei mächtige Blütendolden münden, auf denen schließlich ganzfigürlich die Geburt Christi zwischen Maria und Josef dargestellt ist (Abb. 12) . Demütig knien sie gemeinsam mit einem Engel vor dem Christkind – Maria mit vor der Brust gekreuzten Armen und Josef auf den Stock gestützt, den Hut in der Hand. Die Szenerie wird zwischen zwei dominanten Säulen von einem halbrunden Architekturbogen überfangen. In dessen Scheitel breitet die Taube des Heiligen Geistes schüt- zend ihre Flügel aus und goldene Strahlen der göttlichen Segnung fallen auf die heilige Familie. Darüber im Retabel­ aufsatz gibt eine kreisrunde Öffnung – bekleidet von sieben schauenden und träumenden Engelsköpfchen – nochmals den Blick auf die göttlichen Strahlen frei (Abb. 13) .

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