Leseprobe

23 Zur Entstehungsgeschichte des Retabels Die Beauftragung des Hauptaltars ergab sich für Herzog Georg vielleicht schneller, als er gedacht hatte. Anhand er- haltener Briefe und Rechnungsnotizen des Fürsten lassen sich Auftragsentwicklung und Entstehung des Retabels zwar lückenhaft, aber im Vergleich zu anderen Retabelwerken dennoch gut nachvollziehen. Vom 8. Mai bis zum 7. Sep- tember 1518 weilte Herzog Georg zum Reichstag in Augs- burg. Als persönlicher Gast Jakob Fuggers (1459–1525), mit dem er schon länger in geschäftlichem und nahezu vertrau- ensvollem Kontakt stand, wohnte er in dessen Stadtpalast – unweit der kurz zuvor geweihten Grabkapelle der reichen Bankiersfamilie (Abb. 22) . Jakob Fugger der Reiche, der durch seine venezianische Handelsniederlassung mit der italienischen Kunst auf das Beste vertraut war, hatte die Ka- pelle in der Kirche des Karmelitenklosters St. Anna zwischen 1510 und 1517 im »welschen« Stil errichten und von der Werkstatt Adolf Dauchers (1460–1523/24) und weiteren Augsburger Künstlern nach Entwürfen Albrecht Dürers (1471–1528) und Hans Burgkmairs (1473–1531) ausgestal- ten lassen. 14 In dem schlichten, relativ dunklen Kirchenraum hob sie sich mit großen Fenstern, Gewölbe und kostbarer Ausstattung hell strahlend ab. 15 Die Fuggerkapelle gilt als das erste Gesamtkunstwerk im Stil der italienischen Renaissance in Deutschland und sorgte 1518 für Aufsehen (Abb. 18, 21) . Gleich am zweiten Tag nach seiner Ankunft besuchte Herzog Georg die Privatkapelle, wo man ihm zu Ehren eine Messe zelebrierte. Der überwältigende Raumeindruck wurde für den Fürsten zum Schlüsselerlebnis. Erstmals sah er sich von einer umfassenden Gestaltungswelt der italienischen Renaissance umgeben. Die feierliche Klarheit der Memorial-Architektur, die Bildgestaltung des Altars und der virtuose Umgang mit farbigen Natursteinen müssen ihn tief berührt haben. Von Jakob Fugger erfuhr er, dass die Arbeiten maßgeblich von der Werkstatt Adolf Dauchers ausgeführt wurden. Der Reichstag von 1518 mit den vielen Fürsten und geis- tigen Eliten in der Stadt bewirkte eine Initialzündung zur Ausbreitung der neuen Renaissanceformen im ganzen Reich. Geschickt verstanden es die jungen Augsburger Künstler, sich in Szene zu setzen. Hans Schwarz (1492 – nach 1527) prägte Medaillen mit den Porträts der Fürsten (Abb. 19, 20) , die im ganzen Reich Verbreitung fanden, und Hans Daucher (1486–1538) beeindruckte mit dem Altar in der Fugger­ kapelle und virtuos geschnittenen Kleinreliefs. Herzog Georg Abb. 20 Hans Schwarz, einseitige Gussmedaille Herzog Georg von Sachsen, Umschrift: GEORGIVS · IVX · SAXONIE · IN · ANNO · XXXXVII ·M· DXVIII (Georg, Herzog von Sachsen mit 47 Jahren, 1518), Bronze, ∅ 80 mm, Kunsthistorisches MuseumWien, Münzkabinett Das Ausgabenbuch des Herzogs vermerkt am 12. Juni 1518, dass Hans Schwarz für die Medaille in Augsburg 5 Gulden erhalten habe. Abb. 19 Hans Schwarz, Porträt Herzog Georg von Sachsen, 1518, Kohle oder schwarze Kreide, 21,9×17,2 cm, Staatsbiblio­ thek Bamberg Die während des Reichstags in Augsburg entstandene Zeichnung diente Hans Schwarz als Vorlage für die Medaille, Herzog Georg von Sachsen darstellend (Abb. 20). 14 Siehe zuletzt ausführlich bei Bushart 1994, passim. ZumTerminus »welsche Sitten« im frühen 16. Jahrhundert und dessen Deutung auch im konkreten Zusammenhang mit der Fuggerkapelle siehe Eser 2000, S. 324 f. und 334. 15 Bushart 1994, S. 47. Bis 1747/48 besaß die Klosterkirche halbhoch geschlossene Fenster und eine flache Holzdecke.

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