Leseprobe

64 Abb. 82 Sächsische und süddeutsche Meister, Altar der Münzer und Schmelzer, Holz, polychrom gefasst und bemalt, vollendet 1522. An der Herstellung des Schreins und des geschnitzten Zierrats war nach neueren Erkenntnissen vermutlich Adolf Daucher der Jüngere maßgeblich beteiligt. Zur Einordnung in die Kunst Augsburgs Um 1520 errichtete Schnitzaltäre in den neuen Retabelfor- men der Frührenaissance sind nördlich der Alpen selten. Als bekannteste Beispiele seien in Nürnberg, St. Lorenz der Chorschwellenaltar (1521/23) und in der Rochuskapelle der Rosenkranzaltar (1522/23) sowie in der Prager Teynkirche der Johannesaltar (1523/24) genannt. Auch der weit weni- ger bekannte, nach einem Augsburger Entwurf gestaltete Münzeraltar (geweiht 1522) in der Annaberger St. Annen- kirche gehört in die Reihe dieser eigenwilligen Retabelfor- men zwischen spätgotischer Tradition und Renaissance (Abb. 82) . 107 Vergleichbare Steinretabel aus dieser Zeit sind noch seltener anzutreffen. 108 Einen bedeutenden Steinaltar in ausgeprägten Architekturformen der Renaissance schuf Loy Hering (1484/86–1554) um 1519/20 mit dem Wolf- stein-Altar im Eichstätter Dom (Abb. 83) . 109 Das hochrecht- eckige, einteilige Architekturretabel mit Architrav und auf- gesetzter Lünette wird von zwei mächtigen Säulen flankiert, welche die beiden großen Flachreliefs im Retabelzentrum fast bedrängen. In seinem architektonischen Gesamtaufbau steht der Epitaph-Altar sogar dem Renaissanceideal näher als der an spätgotische Triptychen erinnernde Altar in An- naberg. Die beiden Steinaltäre waren aber weder phänome- nologisch noch in ihrer Form Einzelstücke der Augsburger Kunst. Nirgendwo anders in Deutschland entstanden zwi- schen 1515 und 1523 so viele Steinbildwerke, Kleinreliefs und große Altarretabel im Stil der Renaissance. Die Augs- burger Bildhauerkunst der Frührenaissance wurde für ganz Deutschland richtungsweisend. 110 Wie in Norditalien wur- den hier bevorzugt marmorähnliche, polierfähige Dekor- steine verarbeitet und die Bildhauer versuchten sich in der Technik der Inkrustation. Der überkommene Bestand an Altären und Bildwerken vermag diese einst führende Stel- lung der Augsburger Kunst leider kaum noch widerzuspie- 107 Kiesewetter 2010, S. 205 f. Die 1926 von Walter Hentschel getrof- fene Zuweisung des Altarretabels an den Bildschnitzer Christoph Walther I ist nicht mehr zu halten. Von Christoph Walther stam- men allenfalls die Flügelreliefs und die Skulpturen im Aufsatz. Der Gesamtentwurf des Retabels stammt wahrscheinlich von einem Augsburger Meister und die Marienfigur imMittelschrein wurde von einem niederbayerischen Meister geliefert. Vieles spricht dafür, dass der Altarschrein und der gesamte plastische Zierrat von Adolf Daucher d. J. in Annaberg gefertigt wurden. Zu Adolf Daucher d. J. siehe auch Kiesewetter 2020, S. 226 f. 108 Eser 1996, S. 203. Thomas Eser verweist auf erste in Stein gehau- ene Renaissancealtäre in Wien oder Niederösterreich. 109 Reindl 1976, S. 118; Smith 1994, S. 58. 110 Kaiser 1978, S. 41. 111 Bushart 1994, S. 199–201; Eser 1996 S. 251–262; Teget-Welz 2021, S. 105 f. 112 Eser 1996, S. 251f. mit Anm. 5. Auch die 1581 genannten relativ hohen Kosten für den Wiederaufbau des demontierten Altars am zwischenzeitlichen Standort in der Augsburger Markuskirche deuten auf eine ursprünglich umfangreiche Altarrahmung.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1