Leseprobe

Zur Einordnung in die Kunst Augsburgs 65 geln. Weitgehend erhalten blieb in Augsburg – nach um- fänglichen Wiederherstellungsarbeiten – allein die 1517 vollendete Fuggerkapelle als erstes Gesamtkunstwerk der Frührenaissance in Deutschland. Ihr berühmter Altar mit der Hans Daucher zuzuschreibenden Figurengruppe aus poliertem Kalkstein 111 wurde jedoch im Laufe der Jahrhun- derte mehrfach umgesetzt und in seinem Aufbau grundsätz- lich verändert (Abb. 84) . Die heute frei stehende Figuren- gruppe war ursprünglich sehr wahrscheinlich in eine mehrstöckige, offene Retabelarchitektur eingebunden, zu der vielleicht noch eine Kreuzigung Christi gehörte. 112 Von all dem hat sich nichts erhalten und es gibt auch keinerlei archivalische Hinweise, die eine Vorstellung vom ursprüng- lichen Aussehen des Altaraufbaus erlauben, sodass eine Ein- ordnung des Werkes in die Altarbaukunst der Zeit kaum möglich erscheint. Vergleichbar sind allein die Skulpturen mit denen des Annaberger Retabels, zumal sie von ähnlicher Größe sind und jeweils zu Altarwerken gehören, deren Auf- tragnehmer Adolf Daucher war. Der Fuggerkapelle mit ihrer spektakulären Ausstattung folgten in Augsburg bald weitere Stiftungen von aufwendigen Grabkapellen und Altären durch vermögende Kaufleute und Patrizier. Ein künstlerisch bedeutender Frührenaissance-Altar wurde 1521 durch die Patrizierfamilie Herwart in der Augs- burger St. Georgskirche errichtet. Von ihm erhielt sich ledig- lich die etwa zwei Meter hohe Mittelfigur des Christus Salva- tor aus Jurakalkstein. Eine Eisenradierung von Hieronymus Hopfer erlaubt eine Vorstellung von dem einstigen, reichlich fünf Meter hohen Steinaltar (Abb. 85) . 113 Manuel Teget-Welz hält den Altar für ein Werk aus der Daucher-Werkstatt. 114 Der Typus des dreigeteilten Architekturretabels mit der großen Mittelfigur und zwei Halbfiguren in den Seiten ist dem An- naberger Retabel teilweise verwandt. Wie in Annaberg wird der von einer Bogenarchitektur überfangene Mittelteil von zwei mächtigen Säulen flankiert, auf denen Wappenhalter stehen. Auch die große Salvatorfigur weist in der Kopf- und Haargestaltung Bezüge zu den Skulpturen Hans Dauchers auf. 115 Doch die Faltenkomposition des Gewandes unterschei- det sich deutlich von den zweifelsfrei von Hans Daucher stammenden Bildwerken und deren Faltenführung. Eine Zu- schreibung der Salvatorfigur und damit des gesamten einsti- gen Retabels an die Daucher-Werkstatt erscheint daher zwei- felhaft. 116 Die Skulptur passt möglicherweise besser zu dem Œuvre des unbekannten Bildhauers der Meißner Bewei- nungsgruppe, einem Augsburger Meister, der offenbar eng mit der Daucher-Werkstatt zusammengearbeitet hat. 117 Besonders umfängliche Zuwendungen durch die finanz- kräftigen Eliten Augsburgs erhielt die 1515 vollendete neue Dominikanerkirche St. Maria Magdalena (Abb. 86) . Unter anderem stiftete hier der kaiserliche Rat und Kaufmann Philipp Adler im Jahr 1518 einen großen Schnitzaltar und das bereits erwähnte Sakramentshaus aus Stein in den mo- dernen Renaissanceformen. 118 Das im 18. Jahrhundert un- tergegangene vielfigürliche Altarwerk zeigte – wie das Anna­ berger Retabel – in der Predella den ruhenden Jesse und im Hauptschrein die Heilige Sippe. 119 Der offene, mehrstöckig Abb. 83 Eichstätt, Dom, Loy Hering, Epitaph-Altar für Johannes von Wolfstein, um 1519, Kalkstein, teilweise farbig gefasst. Der 1519 verstorbene Eichstätter Dompropst Wolfstein war zugleich Domherr in Augsburg. 113 Metzger 2009, S. 95 (Tobias Güthner). 114 Teget-Welz 2021, S. 108 und Anm. 33. 115 Ebenda mit Abb. Früher wurde die Figur Loy Hering zugeschrie- ben und ihre Entstehung um 1514 vermutet. Die um 1520 erfolg- ten Baumaßnahmen in der Grabkapelle zur Platzierung des Altars und die Datierung auf dem Blatt Hopfers sprechen jedoch für eine Entstehung des Altars um 1521. 116 Zu bedenken ist auch, dass Hans Daucher im Jahr 1521 allein mit den Skulpturen für das Annaberger Retabel voll ausgelastet war. Die Herstellung weiterer Großskulpturen neben dem Anna- berger Retabel ist schon zeitlich kaum vorstellbar. 117 Siehe Anm. 102. 118 Der verlorene Altar ist durch Detail-Zeichnungen und die Radierung Daniel Hopfers von 1518 bekannt. Siehe Metzger 2009, Kat.-Nr. 34, S. 354–358. Ob es sich wirklich um ein komplett aus Holz geschnitztes Werk handelte, ist nicht sicher. 119 Einige in der Radierung Hopfers wiedergegebene Details erin- nern an den Annaberger Altar (z. B. übereck gedrehte Kapitelle, bekrönende Pflanzvase und der Habitus einiger Figuren).

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