Leseprobe
28 Das Gedicht ist im free verse, also im freien Rhythmus gehalten und hat somit weder ein festes Metrum noch ein Reimschema. Dies gilt für die meisten Gedichte O’Haras sowie der New York School Poets. Dennoch erfreuten sich bei manchen von ihnen gelegentliche spielerische Experimente mit etablierten lyrischen Formen wie der Sestine großer Beliebtheit. Nichtsdestotrotz zeichnet sich O’Haras Why I Am Not a Painter durch eine klare formale Strukturierung aus. Es gibt viele Assonanzen, insbesondere die ebenfalls meist parallel verlaufende Wiederholung von „i“- und „o“-Lauten. Diese Lautwiederholungen sind nicht nur akustisch wahrnehm- bar, sondern stechen auch beim Lesen des Gedichtes ins Auge: durch die Häufung von Wörtern mit den Buchstaben „i“ und „o“ wie „ i nstance“, „start i ng“, „paint i ng“, „ i n“ sowie „p o et“, „dr o p“, „G o ldberg“ und immer wieder „g o “.Während die Differenz zwischen Malerei und Dichtung in der ersten Strophe noch klarer markiert zu sein scheint, werden in den darauffolgenden Strophen zunehmend die Überlappungen und Überschneidungen deutlich. Die zunächst eher syntaktischen Parallelismen werden zunehmend inhaltlich gefüllt. Eine verbindende Funktion hat das wiederholte, unter- schiedlich flektierte Verb „go“, das jedoch, mit der englischen Grammatik konform gehend, oftmals nicht seine Form ändert: „I go and the days go by / […] . The painting / is go ing on, and I go , and the days / go by“. Die Prozesse lyrischer beziehungsweise malerischer Arbeit gehen weiter, Tage verstreichen, und das Malen des Bildes schreitet voran. Die Prozesshaftigkeit ästhetischer Arbeit ist hier zentral. Auch wenn auf bestimmte Momente verwiesen wird, in denen das Bild und das Gedicht „fertig“ sind („The painting is / finished“; „My poem / is finished“), wird ein Zustand abschließender Vollkommenheit künstle rischer und dichterischer Arbeit nicht erreicht. Denn durch Einschübe verdeutlicht O’Hara, dass selbst der augenscheinlich „fertige“ Zustand von Bild und Gedicht noch aufgehoben werden könnte. Selbst in ihrer vermeintlich abgeschlossenen Form sind Gedicht und Malerei noch Trägerinnen von Potenzialität: Die Tilgung des Wortes „SARDINES“ aus Goldbergs Gemälde und das Auslassen des Wortes „orange“ aus O’Haras Gedicht könnten rückgängig gemacht werden. In dieser Möglichkeit liegt eine weitere Parallelität von Bild und Gedicht, und beide verbale Versatzstücke – „SARDINES“ und „ORANGES“ – tauchen am Ende des Gedichts wieder auf, und zwar im jeweiligen Titel der künstlerischen und dichterischen Arbeit. „All that’s left is just / letters“ heißt es in Why I Am Not a Painter, und in dem Gedicht Having a Coke with You (1960) von Frank O’Hara steht: „and the portrait show seems to have no faces in it at all, just paint“ 6 („und die Porträt-Ausstellung scheint überhaupt kein Gesicht zu enthalten, nur Farben“ 7 ) . Dies sind Verweise auf das grundlegende Material von Dichtung und Malerei: Buchstaben und Farbe, die in Why I Am Not a Painter allerdings jeweils im anderen Medium erscheinen: Buchstaben finden sich in Goldbergs Gemälde, und die Farbe Orange bildet die Inspiration für O’Haras Gedichtserie. Die Schnittstelle dieser Überkreuzung wird wiederum von dem sich wiederholenden Verb „go“ getragen und erhält dadurch ein Moment der Be wegung. Malerei und Dichtung, Sprache und Bild treffen sich in dieser Bewegung und sind in ihrer Prozesshaftigkeit verwandt. Abb. 17 John Ashbery, Frank O’Hara, Patsy Southgate, Bill Berkson und Kenneth Koch, 1964 Foto: Mario Schifano
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