Leseprobe

40 Nahsichtig und aus niedriger Perspektive verfolgen wir wie Zuschauer den Kampf. 3 Starke Helldunkelkontraste stei- gern die Dramatik. Für ein besonders sattes Schwarz färbte Bellows den Hintergrund der Komposition mit dem Pinsel ein, die eigentliche Zeichnung dürfte er mit Lithokreide direkt auf den Stein ausgeführt haben. Sie zeigt in reicher Differen- zierung die Boxer, den Ring und die Zuschauer, während der dunkle Hintergrund nur durch wenige Lichtflecken erhellt wird. Die drei Oberlichter sowie einzelne Lichtreflexe auf den Körpern und Gesichtern der Dargestellten kratzte der Künst- ler später wieder frei. „Eine Boxszene, besonders im Nachtlicht, ist unter allen Sport- arten die im klassischen Sinn malerischste. Im Alltagsle- ben bietet sie die einzige Gelegenheit, einen nackten Körper auszustellen“, 4 so Bellows. Der reale Kampf war dem Künst- ler eher der äußere Anlass, vor allem interessierte ihn die kraftvolle, athletische Körperlichkeit. „Wen kümmert schon das Aussehen eines Preisboxers?“, soll er gesagt haben. „Was zählt, sind seine Muskeln.“ 5 1 Zur Biografie und seinem Schaffen sowie den ‚Boxbildern‘ vgl. Mason 1977, S. 21–29, 63–67, 88, 134–140, 186, 222–223; Ausst.-Kat. Washington 1982; Haywood 1988; Jennifer L. Roberts in: Wye 2004, S. 116; Coppel 2008, S. 54–60; Conway 2012; Corbett 2012. 2 Vgl. hierzu den Brief, den George Bellows am 15. März 1917 an Joseph Taylor schrieb, abgedruckt in: Mason 1977, S. 21. 3 Unter den Zuschauern soll sich Bellows selbst dargestellt haben; nicht einig ist sich die Forschung allerdings darüber, ob es sich dabei um den kahlköpfigen Betrachter ganz links handelt oder um den Mann in der Mitte, der seine Hand gegen den Rücken des stürzenden Dempsey stemmt, vgl. Ausst.-Kat. Washington 1982, S. 43. 4 „A fight, particularly under the night light, is of all sports the most classically pictu­ resque. It is the only instance in everyday life where the nude figure is displayed“, George Bellows, zit. nach Haywood 1988, S. 8; ins Deutsche übersetzt von Jan Röhnert. 5 „Who cares what a prize fighter looks like? It’s his muscles that count“, George Bellows, zit. nach Ausst.-Kat. Washington 1982, S. 30; ins Deutsche übersetzt von Jan Röhnert. George Bellows Columbus, Ohio, 1882 – 1925 New York Als George Bellows im Winter 1915 /16 in die Lithografie ein- geführt wurde, war er bereits ein angesehener Maler und Illustrator. 1 Seinem eher freien, lockeren Mal- und Zeichen- duktus entsprach die Technik der Lithografie, bei der er mit dem Pinsel oder der Kreide direkt auf den Stein arbeiten konnte. Er besaß in seinem Studio eine eigene Werkstatt für diese Arbeiten sowie sechs Lithografiesteine, die er immer wieder neu bezeichnete und anschließend abschliff. 2 Seit 1919 druckte er gemeinsam mit Bolton Brown, dem seine Lithogra- fien ihre feinkörnige, samtene Oberflächenstruktur verdanken. Als Bellows 1925 an einem Blinddarmdurchbruch unerwartet starb, hinterließ er ein Œuvre mit 193 Druckgrafiken, darunter zahlreiche Darstellungen von Boxkämpfen, die wie Dempsey and Firpo auf letztlich reale Ereignisse zurückgehen. 1923 hatte der Schwergewichtsboxer Jack Dempsey in nur vier Minuten seinen argentinischen Kontrahenten Luis Ángel Firpo besiegt. George Bellows zeigt jedoch nicht den Moment des Triumphs, sondern jenen überraschenden Augenblick, in dem Firpo seinen Gegner mit einem gezielten Schlag aus dem Ring beförderte; rücklings fällt Dempsey durch die Seile in die Menge der erschrockenen Zuschauer. Bellows, der als Bildberichterstatter für das New York Evening Journal den Boxkampf miterlebte, schuf für seine Auftraggeber eine Zeich- nung (The Metropolitan Museum of Art, New York) , danach die hochformatige Lithografie Dempsey through the Ropes, die vorliegende, verbreiterte Lithografie Dempsey and Firpo sowie ein Gemälde (Whitney Museum of American Art, New York) . Dempsey and Firpo 1923 / 24 Lithografie in Schwarz auf Basingwerk-Parchment-Velinpapier 542×656 mm ( Blatt ) , 459×568 mm ( Stein ) 1 Prolog

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