Leseprobe

84 Abdruck und Leerstelle Foirades ⁄ Fizzles 1976 Buch mit fünf Texten von Samuel Beckett und 31 Tiefdrucken in Schwarz in unterschiedlicher, häufig kombinierter Technik ( unter anderem Radierung, Aussprengverfahren, Vernis mou, Flächenätzung, Kaltnadel, Fotogravüre ) , gedruckt auf Richard-de-Bas-Velinpapier, Velinbroschur und Stützblätter um Ziehharmonika-Falzung gebunden, mit zwei Farbtiefdrucken in Violett, Grün, Orange und Weiß als Vorsatz, in Gewebekassette mit lilafarbener Quaste, innen zwei Farblithografien als Bezugspapier 344×268×57 mm ( Kassette ) , 332×255×45 mm ( Buchblock ) 15 fehlen, sind Texte und Bilder dennoch durch eine schwer de- finierbare innere Verwandtschaft vereint“: 3 Sie entwerfen eine Welt systematischer körperlich-anatomischer Zerlegung. Johns, der den Aufbau des Buches festlegte, stellte diesen Texten eine eigenständige ‚Folge‘ von 33 Tiefdrucken zur Sei- te, die, abgesehen von den jedem Essay vorangestellten Ziffern, Elemente seines vierteiligen Gemäldes Untitled von 1972 (Museum Ludwig, Köln) variieren: namentlich Schräg- schraffuren, Fliesen und insbesondere Körperteile. Immer wieder neu und anders werden diese Körperfragmente for- muliert: als lebensgroßer, unmittelbarer Abdruck, als sprach- liche Begriffe, als Abformungen in Gips, diese als Fotogravü­ ren reproduziert, in Umrissen nachgezeichnet oder als Leerstellen freigelassen. 4 Johns reflektierte damit über die Beziehung zwischen Motiv und Medium, über den Zusammen- hang zwischen Übersetzung und Inhalt. Gleichzeitig spürte er dem Einfluss der Erinnerung auf die menschliche Wahrneh- mung nach, wenn er wie bei den Drucken zum Torso zwei Darstellungen aufeinanderfolgen ließ: die eine aufgrund einer fotografischen Übertragung nahezu illusionistisch präzise, die andere mittig mit einem nicht geätzten und daher leeren Bereich, der beim Betrachten allerdings mithilfe der Erinne- rung an das zuvor Gesehene dennoch gedanklich zum Torso ergänzt wird. 5 1 Die deutsche Ausgabe erschien 1978 unter dem Titel Um abermals zu enden und anderes Durchgefallenes, übersetzt von Elmar Tophoven, bei Suhrkamp in Frankfurt am Main. Zur Vieldeutigkeit der beiden Begriffe vgl. Bernstein 1976, S. 143; Goldman 1977, o. S. – Zu dem Künstlerbuch allgemein vgl. Bernstein 1976; Goldman 1977; Geelhaar 1979, S. 245–334; Castleman 1986, S. 26, 34–35; Ausst.-Kat. Los Angeles 1987, S. 99–234. 2 Vgl. Bernstein 1976, S. 143; Geelhaar 1979, S. 245–248; Rothfuss 1993, S. 271. 3 Geelhaar 1979, S. 245. 4 Vgl. Susan Tallman in: Ausst.-Kat. London 2017, S. 65. 5 Vgl. Rothfuss 1993. Jasper Johns geboren 1930 in Augusta, Georgia Die menschliche Figur begegnet in Jasper Johns’ Werk häufig, allerdings immer fragmentiert und bis in die 1970er Jahre meist als Abdruck von Hand, Fuß, Gesicht oder Knie oder als Teilabformung in Wachs oder Gips. Für Radie­ rungen rieb er dafür beispielsweise die Hand mit einem wasserlöslichen Zuckerfarbgemisch ein und legte sie anschließend auf die metallene Druckplatte. Der säure- feste Ätzgrund haftete dann nur auf den farbfreien Partien, an den anderen Stellen löste er sich im Wasserbad wie- der ab und erlaubte so, dass, mit Aquatintakorn weiterbe­ handelt, jede Falte, jede Pore, jede Papillarleiste zu einem druckfähigen Ton wurde. Auch an den Beginn und das Ende des Künstlerbuches Foirades / Fizzles setzte Johns solche gedruckten ‚Spuren‘ seiner körperlichen Identität: den Teil- abdruck seines Profils, das er mit einem sattschwarzen „X“ versah und dadurch gleichzeitig markierte und auslöschte, sowie Teilabdrücke seines Fußes und seiner Hand. Foirades / Fizzles 1 war gemeinsam mit dem Schriftsteller Samuel Beckett auf Initiative der Londoner Petersburg Press zwischen 1972 und 1976 entstanden. Es enthält fünf französische Prosatexte von Samuel Beckett aus dem Jahr 1972, die der Schriftsteller selbst 1974 ins Englische übersetzte; sie umkreisen die letztlich ausweglose Suche nach der eigenen Identität. 2 „Obzwar voneinander völlig un- abhängig konzipiert und obwohl unmittelbare Parallelen

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