Leseprobe
10 Erst Ende der 1950er Jahre begannen sich weitere Druckwerkstätten zu etablieren, die, zumindest am Anfang, auf eine Technik spezialisiert waren. Gleichzeitig entwickelte sich ein Markt für künstlerische Druckgrafik. Beides stellte die äußeren Voraussetzungen für den „Graphic Boom“ der 1960er und 1970er Jahre dar. Als Tatyana Grosman 1957 am Rande von New York eine der frühesten und folgenreichsten Werk- stätten ins Leben rief ∕Abb. 2 , musste sie allerdings noch einige Überzeugungsarbeit leisten: Denn Universal Limited Art Editions ( ULAE ) druckte zunächst nur Lithogra- fien, und Robert Rauschenberg, Frank Stella oder Larry Rivers reagierten darauf eher zurückhaltend. 6 Auf Steine zu zeichnen, wie es die Lithografie erfordert, erschien Rauschenberg als nicht sonderlich zeitgemäß. 7 Grosman aber wollte Künstlerinnen und Künstler für Druckgrafik begeistern. Das Medium sollte für sie eine so originäre wie gleichbedeutende Möglichkeit werden, sich auszudrücken, wie Malerei, Bild- hauerei, Collage oder Gouache. Grafik sei kein zweitrangiges Medium, sondern ein anderes, so Grosmans Überzeugung. 8 Ihr erstes Verlagsprojekt, das Künstlerbuch Stones, entstand mit Larry Rivers und dem Dichter Frank O’Hara zwischen 1957 und 1959 ∕Abb. 14, S. 21 . Über Rivers kamen etwa Helen Frankenthaler und Marisol zu ULAE, Grosman selbst und ihr Ehemann, Maurice, gewannen Jasper Johns und später Jim Dine für gemeinsame Projekte. Auch Robert Rauschenberg, Cy Twombly, James Rosenquist, Barnett Newman, Claes Oldenburg, Lee Bontecou, Kiki Smith und viele andere realisierten in den folgenden Jahren bei ULAE Druckgrafiken, und zwar in einer Vielzahl von Techniken: von Lithografie über Radierung bis zu Siebdruck und Offset. Im Schaffen der meisten Künstlerinnen und Künstler wurde Druckgrafik später ein wesentliches Ausdrucksmittel. Eine Grosmans Vorstellung ganz ähnliche Vision verfolgte June Wayne ∕Abb. 3 , selbst Künstlerin, die 1960 in Los Angeles den Tamarind Lithography Work- shop gründete. 9 Ihr schwebte eine Renaissance der Lithografie vor, die sie durch eine gezielte Ausbildung im Druckhandwerk erreichen wollte. 10 In der Tat wurden bei Tamarind bis 1970 rund fünfzig Lithografinnen und Lithografen ausgebildet, die in nahezu allen größeren US -amerikanischen Städten tätig waren. Sowohl Irwin Hollander, der 1964 in New York seine eigene Werkstatt ins Leben rief, als auch Ken Tyler, der 1966 gemeinsam mit Sidney Felsen und Stanley Grinstein in Los Angeles den Verlag und die Druckerei Gemini G.E.L. aufbaute, 11 waren am Tamarind Institute gewesen. Anfangs ebenfalls auf das Verfahren der Lithografie spezialisiert führte Gemini bald Siebdrucke, Radierungen sowie multiple Skulpturen im Programm und etablierte sich als eine der experimentierfreudigsten Werkstätten. 12 Abb. 2 Tatyana Grosman ( links) und Helen Frankenthaler in der Werkstatt von ULAE, West Islip, New York, 1964 Foto: Hans Namuth, Silbergelatineabzug, 350 × 275 mm, The University of Arizona, Center for Creative Photography Abb. 3 June Wayne in der Werkstatt von Tamarind, Los Angeles, um 1965 Foto: Mitarbeiter von Tamarind, University of New Mexico Libraries, Special Collections and Center for Southwest Research, Tamarind Institute Pictorial Collection
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