Leseprobe

11 Die Liste der in den 1960er und 1970er Jahren gegründeten Druckwerk- stätten würde mehrere Seiten füllen: Hier seien noch Kathan Browns auf Radierung spezialisierte Crown Point Press erwähnt, 13 Brooke Alexander Editions in New York mit einem Schwerpunkt auf eher realistischen oder narrativen Arbeiten 14 sowie Para- sol Press mit ihren Veröffentlichungen der Minimal Art und Konzeptkunst. Bei aller individuellen Ausrichtung kennzeichnen all diese Werkstätten bis heute eine offene, schöpferische Herangehensweise und ein kreatives Miteinander von Künstlerschaft, Druckhandwerk und Verlagswesen, das Rauschenberg als „non ego-approach“ 15 beschrieb. Grafik, so Rauschenberg, bedeute „Zusammenarbeit: nicht nur mit Men- schen, sondern auch mit Materialien“. 16 Dem Papier – als Bildträger und Material – kam dabei eine besondere Rolle zu. So wurden in den USA in den 1970er Jahren nicht nur Papiermühlen wie HMP oder Twinrocker gegründet, sondern auch solche, die sich ausschließlich auf die Her- stellung von Papierbrei spezialisierten ( pulp mills ) , 17 oder die – wie das Institute of Experimental Printmaking von Garner Tullis in San Francisco – beispielsweise Louise Nevelson ∕Abb. 4 halfen, vervielfältigbare Objekte aus Papier zu realisieren. 18 „[…] Papier ist Haut“, so Garner Tullis, „es ist eine Membran; Arbeiten auf Papier sind wie die ‚Haut des Bewusstseins‘“. 19 Das Zusammenspiel von künstlerischer Aussage, Technik und Papier war allen, die an der Umsetzung einer Druckgrafik oder eines Multiples aus Papier be- teiligt waren, gleichermaßen wichtig. Daher finden sich bei Siebdrucken der Pop-Art häufig eher dicke, mechanisch geglättete Papiere ohne Schöpfränder oder Ober­ flächenstruktur, die viele Druckdurchgänge ermöglichen und sich vor allem ähnlich neutral verhalten wie die betont zurückgenommene Handschrift der Künstlerinnen und Künstler. 20 Andere wählten für ihre Druckgrafiken wiederum deutlich ‚individuelle‘ Papiere: Das unregelmäßig ausfasernde, eigens für Kiki Smiths Arbeit Untitled ( Hair ) ∕Kat. 16, S. 89 handgeschöpfte Mitsumashi-Japanpapier beispielsweise beruht auf der Idee, das Haar vom Druck in den Papierrand fortzusetzen, und das braune Pack- papier der Lithografie von Jim Dine ∕Kat. 12, S. 79 betont das scheinbar Zufällige, Alltägliche der dargestellten ausgebeulten Stiefel. So ist das Papier nicht nur Bild- träger, sondern ein Teil des Kunstwerks, im Falle von Papierreliefs kann es sogar das einzige Material sein ∕Kat. 27, S. 127 . Abb. 4 Charles Hilger bei der Herstellung von Louise Nevelsons Papierrelief Dawnscape in der Werkstatt von Garner Tullis, San Francisco, 1975 Foto: unbekannt

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