Leseprobe

Ü ber den künstlerischen Werdegang Bernardo Bellottos sind wir gut unter- richtet. Einen zentralen Teil der Biografik bilden die Ausbildung und künst- lerische Formung des Venezianers bei seinem Onkel Giovanni Antonio Canal sowie das hohe künstlerische Niveau, das der Jüngere recht schnell erreicht hatte.1 Nach seiner Übersiedlung in die sächsische Residenz fand sich Bellotto nicht nur in einer anderen geografischen Region, sondern auch in einem veränderten Arbeitsumfeld wieder. Er war nun nicht mehr in enger Zusammen- arbeit mit seinem Onkel tätig. An den Wechsel Bellottos nach Dresden knüpfte sich für ihn auch eine Veränderung der ökonomischen Situation, denn er arbeitete nicht mehr wie zuvor für verschiedene Auftraggeber, sondern war von der Gunst eines einzigen Herrschers abhängig. So sah er sich auch mit einem neuen sozialen Umfeld konfrontiert – dem des sächsischen Hofes. Seine eigene Integration in die neuen wirtschaftlichen, sozialen und privaten Systeme nahm er offenbar beherzt in Angriff und reüssierte schnell. Beispiel hierfür ist seine Tätigkeit für den Premierminister Brühl, dessen zentrale Stellung bei Hofe er offenbar früh erkannte. Seinen glänzenden Einstand verdankte er sicherlich nicht zuletzt seiner außerordentlichen Produktivität und seiner mitunter geradezu ökonomischen Arbeits- und Malweise.2 Ein weiterer Topos, neben der engen Verbindung zum Onkel, ist im Zusammenhang von Bellottos Kunst jener der motivischen Abhängigkeit seiner Veduten von den topografischen Gegebenheiten der präsentierten Orte. Schon in der Definition der »Vedutenmalerei« liegt die unmittelbare Abhängigkeit des künstlerischen Bildes vom gesehenen Ort, und Bellotto selbst hat den Begriff der »Vedute« für seine Kunstwerke verwendet.3 Mit der Bezeichnung verbin- det sich der Anspruch der Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. Der synonym gebrauchte Begriff des »Prospekts« wurde im 18. Jahrhundert als »eine wirkliche landschaft darstellendes gemälde« festgelegt.4 In dem Schweigen, mit dem Christian Ludwig von Hagedorn die Vedute in seinen Betrachtungen bedenkt, liegt Geringschätzung; lediglich eine gewisse »Annehmlich- keit« gesteht er den Schöpfungen der »sogenannten Prospect- und Architecturmahler« zu und hat, 1762 in Dresden schreibend, wohl vor allem Bellotto im Sinn.5 Auch später noch haftete der Vedutenmalerei eine niedrige Stellung auf der Skala der Wertschätzung der malerischen Gattungen an: In Meyers Konversationslexikon wurde die Vedute zu Beginn des 20. Jahrhun- derts als »Aussicht, Prospekt; dann überhaupt eine untergeordnete Gattung der Landschafts- malerei, die nur die Einzelheiten wiedergibt, ohne nach künstlerischer Auffassung zu streben« definiert.6 Bilder ohne künstlerischen Anspruch also? Mit Bezug auf die Altstadt von Warschau wurde betont, dass die Veduten für den Wieder­ aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg von hohem Wert waren, und auch der Dresdner Neu- markt ist heute Bellottos Ansichten wieder oberflächlich nah.7 Bellottos Auftrag mag es gewe- sen sein, den Glanz der Residenz unter August III. zu dokumentieren und vor allem dessen Bautätigkeit in monumentalen Gemälden festzuhalten. In diesem Sinne handelt es sich bei Bellottos Stadtveduten tatsächlich um Innovationen, und er lässt sich einordnen unter die Neuerer, die die Kunstgeschichte so sehr liebt. Doch wie wirklichkeitsnah sind Bellottos Veduten? Werner Busch hat am Beispiel Canals gezeigt, wie dessen kompositorische Eingriffe in die Darstellungen Venedigs die Grenzen zwischen Vedute und Capriccio ins Schwimmen gebracht haben und wie letztlich die kapriziösen Veränderungen eine verbesserte Wahrheit der Darstellung der Stadt zum Ergebnis hatten.8 Es ist bekannt, dass auch Bellotto gelegent- lich die Architektur beugte, um sein Darstellungsziel zu erreichen.9 Das Gewandhaus am Dresdner Neumarkt verschob er nach seinem Gusto, um mehr Platz für die königliche Kutsche zu schaffen und ihr einen angemessenen kompositionellen Rahmen zu geben. Detail aus Abb. 8 √

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