Leseprobe

149 Das in Italien erworbene Wissen über die aktuellen Vorlieben in der Präsentationsweise von Gemälden in repräsentativen Interieurs vertiefte Bellotto in den Folgejahren in Dresden und Wien. Seine Aufenthalte in diesen Städten verschafften ihm auch Zugang zu zwei der wert- vollsten Kunstsammlungen Europas und den Kontakt zu bedeutenden Sammlern und Kunst- kennern. Besonders hervorzuheben sind die engen Kontakte Bellottos zu dem Maler Joseph Roos (auch: Rosa), dem Enkel des berühmten Philipp Peter Roos, genannt Rosa da Tivoli. Roos, der in Wien geboren und an der dortigen Akademie der bildenden Künste ausgebildet worden war, kam 1747 nach Dresden, im selben Jahr wie Bellotto. Aus den überlieferten Briefen von Roos an Bacciarelli ist bekannt, dass die beiden Maler miteinander in Kontakt standen und dass Roos Bellottos Werdegang verfolgte. Auch ist überliefert, dass der Künstler willig war, nach Warschau zu reisen.13 Es ist sehr zu bedauern, dass König Stanislaus August seine Dienste nicht in Anspruch genommen hat, denn Roos hatte an der Dresdner Gemäldegalerie wichtige Erfahrungen sammeln können, die ihm bald eine Karriere am kaiserlichen Hof in Wien ermöglichen sollten.14 Es ist anzunehmen, dass sich die Maler auch 1760 in Wien getrof- fen haben, wo Roos mit der Ausschmückung von drei Räumen im Schloss Schönbrunn beauf- tragt wurde, für die er einen Zyklus von 15 einheitlichen Gemälden schuf.15 Diesen Prinzipien für die Erstellung von Stadtansichten folgte Bellotto auch in den Jahren von 1747 bis 1752, als er einen großformatigen Vedutenzyklus mit Ansichten von Dres- den schuf. Obwohl bis heute nicht bekannt ist, für welchen konkreten Herrensitz die Dresdner Veduten bestimmt waren, hat Weber mit Sicherheit Recht, wenn er schreibt: »Damit steht ebenso außer Zweifel, dass Bellotto eine konkrete Vorstellung gehabt haben muss, für welche Wände er arbeitete, welche Größenverhältnisse er beachten und welche Stückzahl er herstel- len musste. Da keinerlei Unterlagen über einen solchen Plan bekannt sind, können Aussagen über das Arrangement der Bilder nur Spekulation bleiben.«16 Zwei weitere Zyklen, die Bellotto in seiner ersten Dresdner Zeit malte, umfassten zum einen elf Ansichten der Elbstadt Pirna mit der darüber emporragenden Festung Sonnenstein (1753–1755) und zum anderen fünf Gemälde, welche die Festung Königstein zeigen (1756– 1758). Auch sie müssen mit dem Gedanken an ein konkretes Interieur gemalt worden sein, dessen Architektur in entscheidender Weise die Anzahl der Gemälde jedes der Zyklen, deren Maße, Format, Komposition und Beleuchtungskonzept weitgehend bestimmte.17 In Wien, wo Bellotto sich zwei Jahre lang aufhielt, entstanden 13 Gemälde im Auftrag von Kaiserin Maria Theresia.18 Angesichts seiner bisherigen Vorgehensweise bei derartigen Großaufträgen ist anzunehmen, dass auch dieser Zyklus für einen bestimmten Raum angefer- tigt wurde, da ein kompositorischer Zusammenhang zwischen den Gemälden und wieder­ kehrende Formatgrößen zu erkennen ist.19 Der Zyklus umfasste die drei Veduten Ansicht Wiens vom Oberen Belvedere (135 × 213 cm), Ansicht Schönbrunns von der Ehrenhofseite (135 × 235 cm) und Ansicht Schönbrunns von der Gartenseite (134× 238 cm), welche möglicherweise – wie die drei später für die Münchner Residenz in Auftrag gegebenen Gemälde – nach folgendem Schema arrangiert wurden: mittig die Gesamtansicht der Stadt und zu beiden Seiten je eine Ansicht der Vorstadtresidenz von der Eingangs- beziehungsweise von der Gartenseite. Des Weiteren gehörten zum Wiener Zyklus sechs paarweise gemalte Ansichten unterschied- licher Orte der Stadt (ca. 116× 155 cm) und vier Gemäldepaare mit Ansichten von Schloss Hof (ca. 137 × 234–257 cm). Obwohl, wie im Fall von Dresden, die ursprünglichen Bestimmungs- orte dieser Gemälde Bellottos unbekannt bleiben, ist glücklicherweise überliefert, wo sie einige Jahre später untergebracht wurden. Dies geht aus einem Inventar des Preßburger Schlosses (Bratislava) hervor, das am 19. März 1781 erstellt wurde.20 Darin sind alle von der Kaiserin in Auftrag gegebenen Gemälde aufgeführt. Den Einträgen zufolge hingen zwölf

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