Leseprobe
16 La Cour ist modern, nur anders. Seine Kunst ist störrisch, spröde. Er verweigert sich vielem – eine typisch moderne Haltung, man denke nur an Hermann Melvilles Erzählung Bartleby der Schreiber (1853): Ein Anwaltsgehilfe entgeht Arbeitsaufträgen mit der Wendung »I prefer not to«, ich möchte lieber nicht. Bartleby verweigert sich nicht einfach, verneint nicht nur die Arbeit. In seiner Absage glüht subversives Feuer, das darauf hinweist, dass jeder die Welt willens- mäßig mitsteuern kann und dass auch (oder gerade) die Verweigerung, das Nicht-Tun, eine Aktion ist. Sicher, diese Interpretation erreicht kaum den theore- tischen Grund, den Philosophen des 20.Jahrhunderts für Bartleby ausgelotet haben, doch drängt sich der Vergleich von der Kunstfigur des Schreibers zum knarzigen, vieles zurückweisenden La Cour einfach auf. Könntest du deine Bilder nicht ein bisschen unfertig lassen, ein wenig lockerer malen, bittet ihn sein Freund und Förderer, der Maler Peter Christian Skovgaard. La Cours Antwort: Lieber nicht. Denn das Unfertige ist ihm zu roh, zu unruhig. La Cour fällt nicht aus seiner Epoche, er durch- lebt sie, genau wie Monet und alle anderen Künstler ihrer Generation. Zudem kann in unserer heutigen Zeit das, was lange als überholt gegol- ten hat – beispielsweise La Cours realistisches Erfassen natürlicher Gegenstände –, progressiv wirken. Dass der Künstler, eine zurückweichende Natur vor Augen, die Verheißung zivilisatorischer Neuerung links liegen lässt, können wir heute gut verstehen – wir müssen es sogar verstehen: Einer Schätzung zufolge könnten im Dezember 2020 die von Menschen hergestellten Dinge ( anthropogenic mass ) erstmals die natürliche Biomasse auf der Welt überstiegen haben. Jede Woche werden für jeden Menschen Produkte oder Dinge geschaffen, die seinem Körperge- wicht entsprechen. 7 Die Restnatur, die Umwelt, ist längst zu einer »neoliberalen Natur« geworden, wird schon seit geraumer Zeit als ökologisch zu steuerndes »Dienstleistungssystem« begriffen. 8 Nun ist La Cour kein Ökofex, kein Umweltschützer. Er liebt die Natur, ästhetisiert sie aber auch in seinen Bildern. Immer wieder bereist er die Schweiz und Ita- lien, erwandert seine dänische Heimat, um die kargen, ruhigen Orte zu finden, die seinen Naturvisionen entsprechen. Ein ähnliches Ruhebedürfnis hat zuvor schon andere Geistesgrößen ergriffen. Der Philosoph Sören Kierkegaard will um 1840 der Kopenhagener Enge entkommen und in die Landschaft flüchten. Schnell merkt er, dass auch hier kein Entkommen mehr vor der Zivilisation ist, weil auf dem Lande hinter jedem Hünengrab ein plappernder Fremdenführer lauert. Heinrich Heine beschreibt 1826 mit seiner Harzreise die Sehnsucht, in den Bergen Abstand und Erhöhung zu empfinden, doch ist der Fluchtraum verstellt. 9 Der französische Romancier Victor Hugo sieht 1840 bei seiner Fahrt auf dem Rhein mit eigenen Augen, wie sehr der Mensch diesen Fluss verändert: »Offenbar ist, dass die Natur, als sie den Rhein erschuf, eine Einöde im Sinne hatte; der Mensch hat eine Straße daraus gemacht.« 10 Zu dieser Zeit sollen jährlich schon 500 000 Menschen per Rheindampfer unterwegs sein; zehn Jahre darauf hat sich diese Zahl auf eine Million erhöht – jetzt warnt sogar Karl Baedeker, der nicht nur mit Rhein-Führern auftrump- fende Gigant der Reiseliteratur, vor dem »übersättig- ten, anmaßenden Reisepöbel«, der »in dem engeren Rheintal vermöge des leichten Dampfverkehrs das Land heuschreckenartig überflutet«. 11
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