Leseprobe

48 La Cour kommt am Gare du Nord an, fährt durch Paris – und fast augenblicklich kollidiert er mit der neuen Welthauptstadt der Kunst. Er fühlt sich hier nicht wohl, und das wird ihn prägen, wird sein Künstlerleben und selbst noch dessen Rezeption mitbestimmen. Paris 1865, das ist die Stadt der flamboyanten Salon-­ Ausstellungen, der Historienmalerei, des Realismus und der älteren Freiluftmaler-Helden wie Camille Corot oder Charles-François Daubigny. Aber auch ein Monet reift hier gerade zum großen Künstler heran. Just in diesem Jahr, elegant gekleidet, jedem Rock hinterherjagend, hat er einen ersten Auftritt im Salon. 11 Zur gleichen Zeit verursacht Édouard Manet mit seiner außerirdisch nackten und schönen Olympia einen Skandal – das Bild muss im Salon ganz oben an die Wand gehängt werden, damit damalige Wut­ bürger es nicht zerfetzen. 12 Man könnte nun seitenlange Schilderungen allein dieses Bildes und der sich darunter, davor und dahinter tummelnden Pariser Bourgeoisie nebst der Bohème folgen lassen. Man könnte den Blick auf strahlende Boulevards richten, über die Erfindung der Straßenbeleuchtung staunen oder, wie kurz zuvor der Schriftsteller Émile Zola, in verruchten Großstadt- gassen Liebe und Prostitution erleben. Es scheint nämlich so zu sein, dass der Flaneur nicht nur ein Mann großer Gedanken ist und neue Eindrücke und Bilder jagt, er läuft auch gerne fremden Frauen hinterher. Diese Blick- oder Laufrichtung funktioniert für Janus la Cour nicht. Damit verliert man ihn aus den Augen. Er ist ein Vertiefer, ein Gewohnheitsmensch. Er erträgt weder nervöses Herumlaufen noch das Sich-Treiben-Lassen besonders gut. Deswegen geht ihm die Stadt auch über die Hutschnur; heimgesandte Reiseschilderungen zeigen von Beginn an Skepsis, dann auch Abscheu. Am 19.Juni 1865 an die Mutter: »Der Tag neigte sich und um neun Uhr rollten wir in den großen Bahnhof des Nordens. Dann ging es mit einer eleganten Droschke den Boulevard de Sebasto- pol hinab, der so glänzend beleuchtet war wie für ein Fest. Die Cafés und Konditoreien waren zur Straße raus geöffnet, strahlend vor lauter Marmor, Licht und Spiegelglas. Es wimmelte von Leuten, leichten Fuhr- werken und den großen, schweren Wagen, die hier für die Arbeit genutzt werden, man rief, lachte, schnalzte mit den Peitschen. Dann ging es über eine Brücke, nun war ich auf der Insel in der Seine, auf der die Notre Dame liegt, wieder über eine Brücke und ich war am Hotel, aber es gab keinen Platz dort, und Dahlerup [der dänische Architekt Vilhelm Dahlerup], den zu treffen ich gehofft hatte, war abgereist. Eine Enttäu- schung war es, mit der Paris mich empfing. Ich bekam jedoch ein Zimmer im Hôtel de Suède direkt nebenan. Ich legte mich ein wenig hin und dachte darüber nach, wie seltsam es doch ist, so allein in der großen Stadt zu sein.« 13 La Cours Abneigung, das wird schnell klar, hat vor allem auch mit der Kunst zu tun, die er hier sieht: »Genauso wie ich in Köln dazu kam, eine große deutsche Ausstellung zu sehen, habe ich es exakt ein paar Tage vor Ende der jährlichen Kunstausstellung [des berühmten Salons] hierher geschafft. Die deut- sche Ausstellung [in Köln] zu sehen, hatte etwas sehr Bedrückendes, da ich mich auf nichts davon einlas- sen, noch weniger etwas dort lernen konnte, und weil ich nun so weit gereist war, ohne etwas erreicht zu haben, sehnte ich mich sehr danach, etwas zu sehen, das mich wirklich erfüllte […]. In den letzten drei Tagen habe ich eine Ausstellung von circa 3 000 Kunstwerken gesehen, oder besser gesagt von etwas, das als Kunst bezeichnet wird […]. Man kann hier in der Kunst von allem etwas finden, von den wildesten Fantastereien zu den einfachsten, ruhigsten Motiven. Nur Weniges gefiel mir und es hatte auch etwas sehr Ermüdendes […]. Nie zuvor habe ich so stark gefühlt, was die ruhige Arbeit, die wärmste Liebe zur Natur und Kunst sagen will, wie in Anbetracht dieser ganzen Freigiebigkeit und teilweise künstlerischen Rohheit. Man sagt, die Ausstellung dieses Jahr sei ungewöhn- lich schlecht. Möglich! Dass sie nicht gut ist, stimmt.« Über das Leben in Paris kann er nur wenig berichten, denn sein »ganzes Denken war von den Malereien eingenommen, die ich gesehen habe, davon, wie weit ich auf etwas davon eingehen kann, und so wird es wohl weitergehen. Alles andere ist nebensächlich für mich.« 14

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