Leseprobe
49 La Cour marschiert durch viele Kunststätten von Paris, auch das schildert er seiner Mutter: »Als ich letztes Mal an diesem Brief schrieb, war ich müde und mürrisch wegen all des künstlerischen Elends, das ich ertragen musste. Als ich gestern die Möglichkeit hatte, eine sogenannte ausge- wählte Sammlung der neueren französischen Malereien zu sehen, hätte es etwas besser werden sollen, aber auch dort war eine grauen- hafte Menge Spreu im Weizen. Heute habe ich hingegen begonnen, mir die große Sammlung älterer Dinge im Louvre anzusehen und es wird besser.« Aber dann sind da diese ganzen Kopis- ten! »Genauso, wie es in dem Hotel, in dem ich als erstes wohnte, Bettwanzen gab […], gibt es im Louvre Galeriewanzen, soll heißen Kopisten, junge und alte, Damen und Herren, beinahe alle jedoch Taugenichtse […]. Gut, dass wir sie zu Hause nicht kennen.« 15 Wie viel Leidenschaft in La Cours Abneigung gegen die zeitgenössische französische Kunst steckt, wie viel Naivität und Trotzigkeit schon in dieser Zeit, als sie noch nicht, wie zehn oder 20 Jahre später, die Welt erobert! Zur Abwechslung kommt die lustige kulturwissenschaftliche Pointe, die La Cour hier über- liefert, sehr gelegen: Wie man heute vor der Mona Lisa im Louvre über die Selfie-Fritzen stolpert, so musste man damals über Heerscharen von Kopisten hinwegsteigen. La Cour arbeitet sich durch die Kunst der Stadt, versucht fast zwanghaft, seine dänischen Vorgänger – explizit Skovgaard Senior, Godtfred Rump oder Georg Christian Hilker – gegen die Franzosen auf zuwerten. Immer wieder jedoch muss der Däne dabei kapitulieren: »Will man Edelsteine in einem Misthaufen finden, so macht zu Beginn der Mist den größten Eindruck, dennoch gibt es hier wahrhaftig glänzende Edelsteine der alten und doch auch der neueren Kunst und bei den öffentlichen Gebäuden entfaltet sich, sowohl im Inneren, als auch im Äußeren, eine ungeheure Pracht […]. Ja, dagegen ist Dänemark ein armes, kleines Land, aber was ich nun sage, ist nicht Ausdruck einer Laune: Hier gibt es eine Schwere, eine Überladenheit, die keineswegs immer schön ist.« 16 Für La Cour bedeutet die Riesenstadt Paris Chaos, Menschentrauben, künstlerische Überfüllung. All das wird er von nun an meiden, so gut es geht. Er wird sich in keine Großstadt verlieben, auch Kopenhagen oder Rom gehen ihm, obgleich er oft dort ist oder sein wird, nie ans Herz. Dennoch, auch in Paris findet er Malerei, die ihm viel bedeutet. So macht er sich Notizen zu Charles-François Daubigny und Paul Huet, die er für die besten zeitgenössischen französischen Landschafter hält. Ebenso kopiert er einige Jahre später in Florenz kompositori- sche Elemente aus Bildern von Nicolas Poussin in seine Skizzenbücher, schreibt darunter: »Efter Poussin«, nach Poussin. 17 An Skovgaard berichtet La Cour im Juli 1865 von der jährlichen Pariser Kunstausstellung, vom Salon. Er hat nur ein paar Tage für die mehr als 3 000 Exponate – und ist nicht unbedingt begeistert: »Es gab dort Landschaften genug, aber nur wenige, die mir etwas Freude bereiteten.« Er lobt einen Daubigny, den er anderswo gesehen hat, »so träumerisch und sanft in seiner Farbe, so leicht gemalt, das konnte ich verste- hen« – beim Salon sei »Leichtigkeit und Breite im Pinsel jedoch zu einer Art Rohheit ausgeartet, die mich abstieß, und diese Rohheit, ich kann keinen feineren Namen für diese Flachheit finden, fand sich überall«. Auch den Maler Huet lobt La Cour grundsätz- lich, bleibt zudem beim großen Corot hängen: »Der eigentliche Modemaler der Landschaft ist hier wohl Corot, mit zitternder und verwischter Formlosigkeit ging er noch weiter darin, die Farbe zu verstimmen, guten Willens konnte man dort aber trotzdem etwas lernen, und diese drei [Daubigny, Huet, Corot] lagen im Verhältnis zu den anderen auch so weit vorn, dass mein ganzes Interesse sich auf sie richtete.« 18 Am eher ungewöhnlichen hypotaktischen Duktus erkennt man, dass La Cour vor Aufregung fast atemlos ist. Die Bewertungen und Urteile schießen nur so aus ihm heraus. Dabei stößt er sich immer wieder an der Rohheit, die auch etwas mit dem Spontanen, Unferti- gen zu tun hat, mit dem verwischten Stil des Impres- sionismus-Vorbereiters Corot. 19 Einerseits bezeichnet La Cour ihn als Modemaler, andererseits glaubt er, von
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1