Leseprobe

112 folgendes Schreiben an dessen Oberhaupt ein Stirnrunzeln. Bevor La Cour mit der Abendstunde beginnt, erreicht ihn im Herbst 1868 in Rom die Nachricht, dass Georgia Skovgaard gestorben ist, die Frau seines Freundes und Förderers. Zu diesem Zeitpunkt ist dessen Haus immer noch La Cours Lebensmittelpunkt. Doch bietet er weder an, sofort heimzureisen und Beistand zu leisten, noch scheint er viel Atem für Beileidsbe- kundungen zu haben: »Erst hier in Roma erhielt ich die traurige Nachricht, dass Ihre liebenswür- dige Gattin verstorben ist, und in inniger Betrüb- nis sende ich Ihnen zu diesem Anlass meinen herzlichsten Gruß; gerne würde ich Ihnen einige tröstende Worte sagen, aber da ich weiß, dass Sie bei sich selbst den größten Trost finden, kann es nur mein Gebet und meine Hoffnung sein, dass Gott Ihre Trauer mildern und Ihnen Stärke geben wird, um Ihren schweren Verlust zu tragen.« So weit, so gut. Doch jetzt kommt’s: »Es ist ein so merkwürdiger und trauriger Gedanke für mich, dass dort in dem lieben, gemütlichen Heim im Rosenvæng eine derartig große Veränderung vorgegangen ist, dass es mir beinahe zuwider ist, dazu überzugehen, von mir selbst und meiner Arbeit zu erzählen, aber ich hoffe, dass Sie es nicht missverstehen werden und will Ihnen nur noch einmal meinen herzlichsten Gruß senden.« 3 Tatsächlich ist es ihm nur »beinahe« zuwider, im Anschluss an das Beileid seine Arbeit zu schildern, denn es folgen seitenlange Geschichten zur Motivsu- che und Kunstreflektion. »Dort bei Rosenlaui wurde ein Motiv schöner als das andere, sodass ich wahr­ haftig nicht vor Ende Juli fortkam. […] Über dem schmalen, tiefen Lauterbrunnental sah ich direkt ein herrliches Motiv vor einer mächtigen Bergkette, die in der Mittagssonne leuchtete und schimmerte […]; dann kam ich noch höher, zu einem kleinen See auf der Engstlenalp am Fuße des Titlis, und dieses Motiv schlug all die anderen Gedanken in die Flucht. Gerade gestern habe ich das letzte Bild angelegt, ein großes simples Motiv, ein heller, leichter und klarer Morgen […]. Ich werde froher und froher, wenn ich […] an dieses Motiv denke.« 4 In seinem Brief drückt sich La Cours zunehmende innere Beschäftigung mit den Bergen aus, seine Fas- zination für ihre Ästhetik. Davon zeugen auch seine Rosenlaui -Aquarelle [ Abb. 36, 37 ] , die Engstlenalp-­ Bilder 5 sowie spätere Studien aus Piemont/Macugnaga [ Abb. 73 ] . Er beschreibt an dieser Stelle sogar bereits den Wunsch, das Monte-Rosa-Gebirgsmassiv aufzusu- chen, das er später malen wird. In der kühlen Größe dieser Gebirgsmomente spiegelt sich La Cours origi- nelle Suche nach Stille. Gleichzeitig verbirgt sich darin eine fast brutale Scheu vor dem Sozialen, das legt seine Reaktion auf den Tod von Frau Skovgaard nahe. Er erledigt das Beileid kurz und formelhaft, schiebt das Trostspenden auf den lieben Gott und rettet sich in Naturschilderungen. Zwar heißt es viel später, dass der »etwas sture und kantige« La Cour beim Akademiefest 1876 eine Gedenkrede auf Skovgaard hält und den »abberufe- nen Meister« mit einer »beherrschten tiefen Wärme« verabschiedet, 6 doch sticht das Wort »beherrscht« ins Auge, nicht die Wärme. Und dann fällt einem ein, dass Janus la Cour die menschliche Figur und über- haupt fast alles Menschengemachte beinahe voll- ständig aus seinen Bildern ausklammert. 7 Auf der bereits erwähnten Sorrent-Studie Kysten ved Sorrent [ ABB. 35 ] sieht man, an den Bildrand gedrängt, zwei Frauenfiguren. Sie sind eins mit dem Haus, aus dessen Fenstern sie herausschauen. Noch deutlicher hat La Cour auf seinem Gemälde Hohe Buchen zwei Figuren im schier endlosen Baum-Grün versenkt [ ABB. 53 ] . Rot leuchtet der Farbtupfer eines Kleidungs­ stückes aus dem Wald, aber die Figuren sind winzig, verschwinden zwischen den Zweigen. Diese Men- schenleere in der Kunst allein ist eine Besonderheit, vor allem, wenn es nun auch noch so scheint, als habe La Cour das Menschliche möglichst aus seinem Leben ferngehalten. Ganz allgemein sind tiefe Naturliebhaber oftmals keine Gesellschaftsvirtuosen, man denke an Caspar David Friedrich oder Vincent van Gogh. Doch gäbe es zur Beurteilung von La Cours Charakter nicht noch andere Interpretations- möglichkeiten? Könnte es sein, dass der Tod ihn

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