Leseprobe

204 Menschenleer, Gegen Ende hin wird es immer deutlicher: Das Werk trägt den Künstler, aber es überragt ihn auch. La Cours Sozialleben wird eher kleiner, ganz im Gegensatz zur größer und mächtiger werdenden Kunst. Und es gibt kein zartes Spätwerk in Tusche, weder Gartenblumen-­ Bilder noch altersweise Farb- oder Formstudien. La Cour macht seit seiner Stilfindung um 1870 einfach immer nur weiter. 1 1902, da ist er 65 Jahre alt, schreibt er der Familie Kristensen, die seinen Hof in Dänemark verwalten [ ABB. 102 ] . Er schreibt also zu sich nach Hause, und zwar vom Monte-Rosa-Gebirgsmassiv, das er nun abermals besucht. Die Postkarte zeigt vor dem süßlichen Gebirgs- motiv im Vordergrund ein Hotel, das leicht verändert noch heute dort steht. Fast ironisch wirkt er, dieser kleine Gruß. Schließlich hatte La Cour die Ansicht gerade auf zwei Metern Breite heroisiert [ ABB. 76 ] . Die Karte ist ein Symbol für sein Leben um 1900. Er schickt in seinen späten Jahren mehrfach kitschige Grüße nach Hause an die Kristensens, etwa vom Oeschinensee oder vom Viescher Gletscher, teils mit Motiven nach Bildern des Malers Wilhelm Bernhard Benteli, ein idyllisierender Schweizer Landschafts-­ Kollege, um es freundlich zu sagen. Die Karten zeigen die Welt nicht so wunderbar klar und reduziert wie La Cour sie in seiner Kunst sehen will, sondern eher so, wie sie ist : Eine angekitschte Sehenswürdigkeit für Daheimgebliebene, hundertfach vervielfältigt, abgedruckt, abgehalftert. La Cours Text auf der Postkarte ist Symbol seiner eigenen sozialen Exis- tenz: »Montreux, 11.8.02. […] Nun bin ich nicht mehr am Schwarzsee, am Dienstag kam ich hierher und morgen hoffe ich zu meinem neuen Aufenthalts- ort zu kommen. Monte Rosa kannst du wohl erkennen. Danke für die Glückwünsche zu meinem Geburtstag, ganz allein im Hotel […]. Regenwetter […]. Ansonsten ist alles gut, wir haben hier richtigen Sommer mit Hitze.« Dann klagt La Cour, dass sein Knie beim Abstieg vom Schwarzsee doch sehr schmerzt und dass es in dem malerisch am Genfersee gelegenen Montreux mittlerweile mehr als 50 große Hotels gibt. 2 überlebensgross

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