Leseprobe

15 Jeder Künstler, ist er wenigstens halbwegs gut, steht für sich und sollte nur an seinen eigenen Maßstäben gemessen werden. Doch durch Vergleiche werden Konturen schärfer sichtbar, wobei man meinen könnte, dass diese bei den Gegenpolen Monet und La Cour scharf genug ausgebildet sind. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: Beide Maler leben und arbeiten in einer Zeit, in der die Moderne beginnt. Das heißt, sie sind, wie alle Menschen, ein Produkt der Moderne und konstituieren diese gleichzeitig. 3 Beide erfinden auch die in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts perfektio- nierte Landschaftsmalerei in ihrem Sinne neu. Dabei geht Monet den Weg des Lichts und der flirrenden »Augenblicklichkeit«. 4 La Cour hingegen hält sich an Reduktion und Regungslosigkeit. Beide sind große Formalisten, finden neue Bildausschnitte für ihre Blicke auf Umwelt und Natur, beide arbeiten seriell, was bei Monet bekannt ist und gefeiert wird, bei La Cour hin- gegen nicht. Als ein erstes Beispiel schaue man sich nur La Cours zweite Version der Sorrent-Bucht an, bei der er das gleiche Motiv ein bisschen anders malt – und es gibt noch mindestens zwei weitere vollwertige Varianten dieser Ansicht [ ABB. 2 ] . 5 Dieses Wiederholen und Variieren fängt bei La Cour bereits in den 1860ern an und steigert sich zeitlebens zu regelrechten Serien. Allerdings ist das bis heute übersehen worden. Grundsätzlich sieht die Rezeptionslage so aus: Der Franzose Monet repräsentiert den koloristischen Fortschritt, der Däne La Cour die realistische Tradition – La Cour ist ein Zuspätkommer, Monet der Begründer des modernen Malstils. Und was Monet betrifft, mag all das stimmen oder auch nicht, keinesfalls jedoch schadet es ihm. Für La Cour hingegen sind die negativen Urteile ver- hängnisvoll. Sie haben sein Leben erschwert, seine Kunst abqualifiziert. Dieses Buch arbeitet dem entge- gen, nicht zuletzt mit Jonathan Crarys Erkenntnis, dass die Impressionisten Ende des 19.Jahrhunderts keinen radikalen Bruch mit alten Konventionen bege- hen; dieser Bruch kündigt sich schon um 1800 an. »Experimentalismus« und »Realismus«, Moderne und Tradition – Monet und La Cour, das sind keine Gegen- sätze, sondern die zwei Seiten einer Medaille. Sehen und Subjektivität haben sich lange vor den Impressio- nisten im Wortsinn modernisiert. 6

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