Leseprobe
26 In Wirklichkeit zeigt sich hierbei natürlich das Dilemma von Architekten: Es gibt oft so viele Vorgaben von allen Seiten, dass wirkliche Kreativität kaum möglich ist. Ich bin so wütend geworden, dass ich einer Kollegin, die die wunderbaren Marmorplatten tatsächlich in kleine Riemchen teilte, vor Wut einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet habe. Ich war so verzweifelt, weil ich nicht durchkam und das Gefühl hatte, gegen Wände zu laufen. Daraufhin wurde mir das Gehalt gekürzt. Ich durfte nur noch in der Ecke arbeiten. Also habe ich ein vier Meter großes Pappmodell gebaut, an dem die Architekten abends ihre Ideen ausprobierten. Dann wurde ich schwanger und sah die Möglichkeit, etwas Neues zu beginnen. Aber zunächst mal saß ich zu Hause mit meinem Kind, dabei hatte ich noch so viel im Kopf, was ich wollte – jedenfalls nicht Windeln waschen. Ich rief meinen Vater im Erzgebirge an und fragte ihn um Rat. Er brachte mir Meterstämme gefällter Fichten. So habe ich Mitte 1975 angefangen, Holz mit der Motorsäge zu bearbeiten und Skulpturen zu machen. Ich merkte aber bald, dass das eine Sackgasse ist. Ich meldete mich in der Kunsthochschule in Wei- ßensee zum Abendstudium an. Zweimal die Woche spazierte ich in die Lehderstraße zum Porträtie- ren. Das war wunderbar. Unser Lehrer, Hans Kies, 1 hat uns »Benvenuto Cellini« 2 vorgelesen und Hin weise zum besseren Sehen gegeben – worauf es bei einem Kopf ankommt. Er sagte: »Schau Dir das Gesicht im Gegenlicht an. Dann siehst Du die Konturen besser.« Oder: »Schau mal durch ein Fernrohr verkehrt herum, das verändert die Proportionen.« Eines Tages sah der Bildhauer Friedrich B. Henkel 3 meine Holzskulpturen, meine Hühner, die ich mit der Motorsäge geschnitten hatte, und fragte, wo ich studiert hätte. Hatte ich ja gar nicht. Henkel schrieb mir einen Zettel, mit dem ich zum Verband Bildender Künstler (VBK) ging und mich als Kandidat bewerben konnte. Das war 1977. Danach habe ich nur noch mit Gips gearbeitet und die Motorsäge weit weggeworfen. Ich modellierte das Köpf- chen meiner Tochter Lisa und ein Baby im Moro-Reflex (vgl. Frontispiz). Porträts haben mich schon damals sehr interessiert. Kandidaten im VBK mussten sich bewähren, bekamen deshalb einen Auf- trag. Ich sollte Käthe Niederkirchner für die gleichnamige Schule im Prenzlauer Berg porträtieren. Käthe Niederkirchner war in der DDR eine Ikone für die kommunistischen Ideale. In der DDR wurden mehr als 300 Straßen nach ihr benannt. Eine kritische Annäherung an die Person – und nicht nur an das ihr angehängte Label »Widerstandskämpferin« – stelle ich mir schwierig vor. Das hat mich nicht geschreckt, denn ihre Person, ihr Kampf für eine Sache, für die sie sogar in den Tod ging, hat mich sehr beeindruckt. Und vielleicht spielten dabei auch Zufälle eine Rolle. Gerade, als ich den Auftrag erhalten hatte, fragte mich Marika Voss, 4 eine befreundete Malerin, ob ich nicht bei ihr im Atelier zeichnen wolle. Sie hatte gerade einen Arbeiterveteranen zu Besuch, der ihr ein paar Tage Modell saß. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß, aber er kannte Käthe Niederkirchner und ihren Vater, der ein Gewerkschafter mit ungarischen Wurzeln war und nahezu sein ganzes Leben im Gefängnis gesessen hatte. Jedes Mal, wenn man ihn wieder freigelassen hatte, hat er auf Demonstrationen und Versammlungen gesprochen – um dafür wiederum in den Knast zu wandern. Nebenbei hat er Kinder gezeugt; Käthe war eins von fünf Geschwistern. Offensichtlich hatte sie etwas vom Kampfgeist ihres Vaters mitbekommen.
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