Leseprobe
107 PORTRÄT PAUL | 1974 Bronze, 30,5 × 30 × 18 cm wollte mir eine Zweitform bauen. Die beiden kamen wie gerufen. Ich gab mein Köpfchen mit. Ver- trag oder so etwas hatten wir nicht. Wir machten nur den Tag aus, an dem ich es wieder abholen konnte. Als ich die Husemannstraße entlangging, kam mir ein fürchterlicher Geruch in die Nase, wie verbranntes Fleisch. Der Geruch wurde immer schlimmer. Im Hinterhof war es fürchterlich ver- nebelt, und im Haus konnte man die eigene Hand nicht mehr vor den Augen sehen. Ich polterte an die Tür und, Schreck lass nach, sie hatten die Gelatine verkochen lassen. Die war schon schwarz. Sie hatten aber aus lauter Angst vor mir trotzdem diese Brühe auf mein Köpfchen gegossen, und alles war verklebt und vermistet. In mühseliger Arbeit habe ich die Gelatine vom Gips lösen können. Das Köpfchen zerfiel in tausend Stücke. Ich sammelte die Stückchen wieder zusammen, wie imMärchen vom Machandel, und mit Kittifix klebte ich heulend und fluchend Stück für Stück zusammen. Ich war noch nicht ganz fertig, da kam Erika Neumann, Kunstwissenschaftlerin vom Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg. Sie betrachtete das Köpfchen und sagte, so eine wun- derschöne Arbeit hätte sie seit Langem nicht mehr gesehen. So gelangte das Köpfchen, dank meiner Ateliergehilfen, ins Museum. Die »Raubritter« haben sich bei mir zehnmal entschuldigt. Es wären nicht sie, die mich vergessen hatten, sondern die Motorräder hätten sie vergessend gemacht. Die vielen alten Motorräder hatten sie völlig in Besitz genommen. Und da mein Vater auch ein Motorradbesessener war, konnte ich das alles verstehen.
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