Leseprobe

184 1982 ADIEU PICASSO Das Lebendige rinnt in den Zwischen- räumen, wo das Greifbare endet, und endet, wo es fassbar und gefestigt wird. Mich spült es durch die Schluch- ten. Da, wo ich nicht bleiben will, bleibe ich, und wo ich ruhen möchte, werde ich mit Macht hinweggerissen. Das Gesicherte erstarrt und bildet Strukturen, die merkwürdig, unheim- lich, traumhaft sind. Nur wenn unsere Liebe bleibt, bleiben auch wir, bleiben wir nirgends und überall zu Hause. Die Landschaft ist ein Zustand der Seele. KEIN ORT. NIRGENDS nach Christa Wolf Die Probleme stürzten auf mich ein. Ich arbeitete unermüdlich. Die meisten Arbeiten aus dieser Zeit sind skizzen- haft oder als Collagen angelegt. Meine Gedanken und Gefühle hielt ich in Kaltnadelradierungen fest, druckte die Platten auf meiner alten Tiefdruck- presse und montierte Skulpturen aus bereits bestehenden Arbeiten. Im gleichen Jahr hatte ich das »Porträt Käthe Niederkirchner« abgeschlossen. Eine Auftragsarbeit. Ich modellierte die Widerstandskämpferin als Jeanne d’Arc mit poliertem Büßerhemd. Das Porträt wurde nicht angenommen. KORRESPONDIERENDE MEISTERSCHÜLERIN Ich bat, Meisterschülerin an der Akademie der Künste werden zu dürfen. Der Bildhauer Werner Stötzer half mir beim Aufbau meiner Präsen­ tation in der Akademie. Er war begeis- tert. Vergnügt fuhr ich zurück in mei- nen Steinbruch, wo ich gerade arbei- tete. Einige Tage später lag die totale Absage im Briefkasten. Ich erinnerte mich an den korrespondierenden Meister der Akademie, Alfred Hrdlicka in Österreich, schickte ihm Fotos meiner Arbeiten und bekam eine ermunternde Absage. Er schickte mir einen Katalog mit der Widmung: »Mach weiter so! Alles Gute, Dein Alfred.« Diese Worte sind mein Joker. Sie bestärken mich bis heute. ERSTES FUNDAMENT Mit der Rückgabe des Ausreiseantrags hatte ich sämtliche Möglichkeiten ver- spielt, die westlichen Kunst- und Kultur- stätten zu bereisen. In meinem Mann Peter Schwarzbach fand ich den Bau- meister, der den Genius loci in der Ruine eines uralten Berliner Bauernhau- ses für uns fand. Nach dem (Vor-)Bild »Huttens Grab« von Caspar David Friedrich buddelten wir Fundamente. Wir ließen das Licht durch die gusseisernen Stallfenster, die desolaten Decken und riesigen Mauer- risse kommen. Unter freiem Himmel formte ich meine Skulpturen. Anna Franziska Schwarzbach Foto: Peter Schwarzbach KASSANDRA , 1982 Foto: Anna Franziska Schwarzbach GROSSES PAAR (KLEIN) , Symposium im Steinbruch Reinhardtsdorf, 1982 | Foto: Peter Schwarzbach

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1