Leseprobe
23 K R I S T I NA VO L K E Die Kunst lebt davon, keine Angst zu haben! Ein Gespräch mit der Bildhauerin Anna Franziska Schwarzbach über Porträts von Widerstandskämpfern, Motorsägen, Kruzifixe, abgelehnte Aufträge und die Bedeutung abwesender Lehrer Anna Franziska Schwarzbach ist Berliner Bildhauerin – eine von wenigen, die in der noch immer von Männern dominierten Kunst- und vor allem Bildhauerwelt des 20. Jahrhunderts ein großes Werk entwickelt und die Skulptur und deren besonderen Beitrag zum Verständnis des Menschenbilds neu interpretiert hat. Dabei sagt sie von sich selbst, sie sei keine Bildhauerin, jedenfalls nicht im klassi- schen Sinne. Tatsächlich hat Anna Franziska Schwarzbach nie an einer Akademie Bildhauerei stu- diert, und doch zählt sie zu den wichtigsten Künstlerinnen dieser Gattung ihrer Generation. Sie ist die Tochter des Holzbildhauers Hans Brockhage (1925–2009), dessen vom Bauhaus inspiriertes, weit- gehend abstraktes Werk in der DDR singulär war. Sie war Studentin des berühmten Architekten Selman Selmanagic´ (1905–1986) an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und arbeitete als Archi- tektin am Palast der Republik, bevor sie mit Porträtplastiken begann, die trotz der Vielfalt ihres Schaffens immer im Mittelpunkt ihres Werkes stehen. Kein anderes Sujet der Kunst wird zugleich so geliebt und gehasst wie das Porträt, keines hat eine solch wechselvolle Geschichte zwischen Verehrung und Ablehnung erfahren, weil es seit Beginn der Kunstgeschichte von Politik, Macht und Kalkül umgeben ist und neben großer Faszination stets auch großes Misstrauen erregte. Lange Zeit den Herrschenden vorbehalten, standen Abbilder von Men- schen als Legitimation und Beweis des eigenen Status stellvertretend für die Person und beanspruch- ten Ehrerbietung, Gefolgschaft bis zur Unterwerfung nicht nur in Antike und Mittelalter, sondern bis in die Diktaturen des 20. Jahrhunderts hinein. Anna Franziska Schwarzbachs künstlerische Lauf- bahn als Bildhauerin begann Mitte der 1970er Jahre in Ost-Berlin. Porträts wurden ähnlich Denk- malen vor allem für jene Menschen in Auftrag gegeben, an die man öffentlich erinnern wollte – besonders für Gewährspersonen der sozialistischen Ideale, nach denen Straßen, Plätze, Schulen und Betriebe benannt wurden. Ihre Ausführung stand deshalb unter stärkerer Kontrolle als die anderer in Auftrag gegebener Kunstwerke. Die Beurteilung erfolgte oft eher nach ideologischen denn nach künstlerischen Gesichtspunkten. GESCHWI STERREL IEF | 1980 Gips, 45 × 35 × 15 cm
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