Leseprobe
25 KÄTHE NIEDERKIRCHNER | 1978 Bleistift, 60 × 42 cm Frau Schwarzbach, Sie haben Architektur studiert. Wie kamen Sie zur Bildhauerei? Ich hatte an der Weißenseer Kunsthochschule Architektur studiert und bekam meine erste Anstel- lung beim Industriehochbau Berlin-Alexanderplatz, dem IHB. Dort sollte ich daran mitarbeiten, ein Bruno-Taut-Ensemble mit dazugehörigen Gärten durch Lagerhallen zu ersetzen. Ich war Schülerin von Selman Selmanagic´ – der Abriss von Bauhaus-Wohnhäusern und der Ersatz durch hässliche Funktionsbauten kamen für mich nicht infrage und ich machte deshalb einen Gegenvorschlag. Ich war damals 23 Jahre alt und wie viele in diesem Alter radikal. Natürlich setzte ich mich nicht durch. Ich hatte aber gehört, dass im Aufbaustab vom Palast der Republik ein ehemaliger Schüler von Selmanagic´ mitprojektierte. Ich bewarb mich. Wir Selman-Schüler fühlen uns zusammengehörig und sind überzeugt, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit doch eine gemeinsame Grundhaltung zur Architektur teilen. Aber am Palast gab es eben andere Einschränkungen. Honecker persönlich wollte dort seine ästhetischen Vorstellungen, seinen zutiefst bürgerlichen Geschmack durchsetzen. Er wollte überall Marmor, und er wollte unbedingt einen Riemchenfußboden. Es war zum Verzweifeln. Anna Franziska Schwarzbach sieht sich dennoch nicht als oppositionelle Künstlerin. Ihre Werke waren ebenso wenig Machtbehauptungen wie politische Gegenstellungnahme, sondern vom ersten Moment an Erkundungen des menschlichen Antlitzes als Spiegel einer individuellen Persönlichkeit und der Zeit, in der sie lebte. Im Lauf von fünf Jahrzehnten ist ihr Werk zu einem vielgestaltigen Œuvre angewachsen, das man in Museen und Gedenkstätten, auf öffentlichen Plätzen und in pri- vaten wie musealen Sammlungen findet. Die Bildnisse von Luise Meitner, Mstislav Rostropovich, Alexander Puschkin, Kurt Weill, Georg Elser, Stendhal, Marie-Elisabeth Lüders, Albert Einstein, Ludwig van Beethoven, Mileva Maric´ und vielen anderen stehen inzwischen in ganz Europa und erinnern in ihrer intensiven, von einer heiteren Unruhe gekennzeichneten Präsenz an den Menschen hinter der Fassade eingeübter Erinnerungen. Zudem gibt es zahlreiche Werke in Kirchen, für die sie andere Zugänge zur Skulptur entwickelte, ebenso wie das große Œuvre an Medaillen, in denen sich das Sujet des Porträts mit einer besonderen, auf sehr kleinen Raum beschränkten Form der Ehrung und Erinnerung verbindet. Meist entwickelt Anna Franziska Schwarzbach neben dem eigentlichen Por- trät plastische Arbeiten, die mit den Dargestellten in einem weiteren Sinn verwandt sind, einen anderen Aspekt der Personen zum Vorschein bringen. Diese Art der vielgestaltigen Annäherung erzählt von der Identifikation der Künstlerin mit ihren Skulpturen. Alle ihre Werke sind von einem schier unendlich scheinenden Netz aus Geschichten umgeben, in dem sich das eigene Leben mit der Arbeit an den Skulpturen verwebt. Das folgende Interview soll die Bildhauerin selbst zu Wort kommen lassen und dabei nicht nur ihren künstlerischen Eigensinn, sondern auch die gesellschaftlichen Umstände, die Brüche, Verwerfungen und Fügungen nachzeichnen, die letztlich zu diesem außerordentlichen Werk führten. Es handelt sich um die Zusammenfassung vieler Gespräche, die im Laufe von mehr als einem Jahrzehnt meist im Berliner Atelier der Künstlerin stattfanden und immer von großer Heiterkeit, nie versiegenden Assoziationen und Erinnerungen, Geschichten und vor allem von einer großen Begeisterung für die Menschen, die hinter ihren Skulpturen stehen, gekennzeichnet waren.
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