Leseprobe

41 The Old West – White Churches of the Plains 136 Die Motive der Fotografinnen und Fotografen, die zwischen 1935 und 1941 im Auftrag der FSA Land und Leute dokumentiert hatten, fanden spätestens durch die von Edward Steichen 1962 am New Yorker MoMA kuratierte Ausstellung The Bitter Years Eingang in das nationale Bildgedächtnis; vgl. Poos 2012. Auf der Website der Library of Congress (Washington, D.C.) finden sich Digitalisate aller Negative der Fotografien, die im Auftrag der FSA entstanden sind; vgl. http://www.loc.gov/ pictures/collection/fsa/, zuletzt 9. 8. 2021. Obwohl die Kampagnen der Regierung 1935 zunächst unter dem Dach der Resettlement Administration begonnen worden waren, ist das beträchtliche Konvolut heute allgemein unter dem Namen der FSA bekannt; vgl. Böger 2007, Cohen 2009. Neben Dorothea Lange und Walker Evans haben unter anderem auch Russell Lee, Arthur Rothstein, Ben Shahn, John Vachon und Marion Post Wolcott für die FSA gearbeitet. 137 Zur Präsenz des Werks von Walker Evans um 1970 vgl. Salvesen 2009b: 14–18. Anfang des Jahres 1971 fand eine viel beachtete Evans-Retrospektive, kuratiert von John Szarkowski, im MoMA statt; vgl. Ausstellungskatalog New York 1971. Wie stark Robert Adams zu Beginn seines Schaffens von den Vorbildern der Zwischenkriegszeit geprägt war, lässt sich auch daran ablesen, dass er 1966 die Adobe-Kirche in Hernandez, New Mexico, fotografiert, die Ansel Adams 1941 in seiner berühmten Aufnahme Moonrise, Hernandez verewigt hatte; vgl. Adams 2011 (3): 132. 138 Als Übersetzung des englischsprachigen Begriffs »vernacular« sind im Deutschen sowohl »vernakular« als auch »vernakulär« gebräuchlich. Zitzewitz verwendet ihn »im Sinne des einflussreichen Kulturgeografen John Brinckerhoff Jackson [...] für kommerzielle Strukturen, meist anonyme, oft ephemere Alltagsarchitekturen der Nachkriegszeit [...], denen er eine besondere Bedeutung für die US-amerikanische Kulturlandschaft einräumte« (Zitzewitz Arbeit an White Churches längst in den Kanon der US-amerikanischen Fotogeschichte aufgenommenes Beispiel sind Evans’Fotografien einfacher Holzkirchen in seiner Monografie American Photographs aus dem Jahr 1938.137 In den Bildern von Evans, Lange und ihren Zeitgenossen liegt auch der Ursprung von Adams’ Interpretation der Kirchenbauten als Zeugnisse einer spezifisch US-amerikanischen Architektur- und Kulturgeschichte sowie als Symbole nationaler Identität. Mitte der 1960er Jahre haben zahlreiche Fotografien aus den Kampagnen der Farm Security Administration bereits einen festen Platz im Kanon der US-amerikanischen Fotogeschichte, und das Motiv der Holzkirche besitzt, wie die vernakuläre Architektur insgesamt,138 ikonischen Status in der populären US-amerikanischen Bildkultur. Außerdem ist in diesem Zusammenhang Frank Gohlkes Serie über Getreidespeicher zu nennen, ein vergleichbar ikonisches Motiv des ländlichen Amerika der Zwischenkriegszeit.139 Die genannten Referenzen belegen den Stellenwert sowohl der FSA-Fotografie als auch des Motivs der Holzkirche und vergleichbarer Inkunabeln der Pionierzeit. Als Robert Adams um 1970 seine Aufnahmen der White Churches macht, sind die Fotografien seiner Vorgänger bereits in den Kanon der US-amerikanischen Fotogeschichte aufgenommen. Indem er diese Fotografien zitiert, findet also eine doppelte kulturelle Appropriation statt: in Bezug auf die Deutung der Architektur und Landschaft und auf die Deutung einer bestimmten fotohistorischen Epoche. Die Bezugnahme auf die Vorbilder ist in diesen frühen Arbeiten zwar noch vergleichsweise unreflektiert und die fotografische Umsetzung bisweilen – wie Robert Adams selbst anmerkt – etwas unbeholfen. In den folgenden Fotobüchern wird sie aber mehr und mehr zu einem Stilmittel. Mehrbildfolge Robert Adams nutzt das narrative Potenzial der Mehrbildfolge in seinem ersten Fotobuch, White Churches of the Plains, nur ansatzweise. Es sind hier vor allem das erste und das letzte Bild, die als Rahmung die Bildsequenz definieren. Auf dem – vom Umschlag abgesehen – ersten Bild des Buches (Abb. 6) wird der Blick des Betrachters über den schnurgerade am rechten Bildrand entlangführenden Feldweg zugleich ins Bild wie auch in das gesamte Buch hinein gelenkt. Darüber hinaus vermittelt die Fotografie einen Eindruck von der flachen und weiten Landschaft der Great Plains sowie von der charakteristischen Siedlungsstruktur. Das zweite Bild zeigt ein Haus in der Ferne, wodurch die allmähliche Annäherung von Erzähler und Betrachter an die Kirchenbauten suggeriert wird (Abb. 7).

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