Leseprobe

42 Die Fotobücher der 1970er Jahre 2014: 12–13, Anm. 19); vgl. zum Begriff und Konzept des Vernakularen auch Aigner 2010: 26. 139 Vgl. Gohlke 1992. Die darin enthaltenen Fotografien sind zum überwiegenden Teil in den 1970er Jahren entstanden und wurden bereits 1978 im Museum of Modern Art, New York gezeigt. Laut Salvesen haben sich William Jenkins und Joe Deal dagegen entschieden, diese Werkgruppe in die New-TopographicsSchau aufzunehmen »because, in their view, the grain elevators had a certain romanticism, or historicism« (vgl. Salvesen 2009b: 44 und 66, Anm. 175). Salvesen weist zudem darauf hin, dass auch Nicholas Nixon Anfang der 1970er Jahre im Sinne von Walker Evans Interieurs in Kenwood, einem Stadtteil von Minneapolis, fotografiert hatte. »[...] sharing an admiration of Walker Evans, they [Nixon und Gohlke] appreciated vernacular architecture and its potential to represent ways of life« (Salvesen 2009b: 22). Auch die letzte Abbildung des Buches dient sowohl der formalen Geschlossenheit der Mehrbildfolge als auch deren semantischer Kohärenz (Abb. 8). Nachdem die beiden vorigen Bilder, die bereits erwähnten Ansichten eines Krämerladens und einer Schule, die gezeigten Kirchenbauten in die breitere Siedlungsstruktur eingebettet haben, führt das Schlussbild den Blick zurück in die offene Prärie, wo die Sequenz begonnen hatte. Die Funktion eines Schlussbilds erfüllt diese Fotografie in doppelter Hinsicht, nämlich durch den Bildaufbau und durch die Symbolik des Friedhofs. Der annähernd frontale Blick auf die Grabsteine und den dahinter aufragenden Stacheldrahtzaun unterbricht die Abfolge der Seiten und bringt den Blick zur Ruhe. Mehr noch: Indem der Blick auf die Grabsteine geringfügig nach links gewendet ist, etabliert Robert Adams sogar eine Gegenbewegung zur Richtung der Lektüre. Darüber hinaus symbolisiert der Friedhof das Lebensende und damit auch das Ende der Reise, die so zugleich zur Lebensreise überhöht wird. Im Hinblick auf die Konstruktion des Adams’schen Erinnerungsraums erfüllt diese Fotografie einen doppelten Zweck, indem sie den zeitlichen Bogen aus der Gegenwart der späten 1960er Jahre zurück in die Zeit des Old West um 1900 schlägt und zugleich auf die christliche Deutung der Landschaft verweist. Über die beschriebene Rahmung durch die erste und letzte Fotografie im Buch deutet Robert Adams eine eigenständige Bilderzählung an, die es ihm ermöglicht, zusätzliche, von Einzelbild und Sprachtext relativ unabhängige Bedeutungen zuzuschreiben und die im Text angelegten Konnotationen stärker mit der topografischen Landschaft zu identifizieren. Der gesamte Mittelteil der Bilderzählung besteht allerdings aus einer weitgehend parataktisch strukturierten Beschreibung der einzelnen Kirchenbauten. Einem einzelnen Gebäude sind bis zu vier Abbildungen gewidmet, wobei durchgängig ein Bild pro Seite gesetzt ist.Mit Ausnahme des Schlussbilds und der beiden FrontispizFotografien stehen sich also auf jeder Doppelseite zwei Bilder gegenüber. In der Regel wird dabei eine zumeist frontal aufgenommene Gesamtansicht der jeweiligen Kirche mit einer Detail-, Seiten- oder Schrägansicht kombiniert. Bedingt durch die uneinheitliche Zahl der Abbildungen pro Bau, stehen sich wiederholt Ansichten von zwei verschiedenen Bauten gegenüber. Dies führt dazu, dass die auf einer Doppelseite vereinten Bilder zumTeil weder formal noch inhaltlich miteinander korrespondieren, wodurch ein unruhiger Gesamteindruck entsteht, der durch die Buchgestaltung – wie noch zu zeigen sein wird – verstärkt wird. Im Gegensatz zu seinen späteren Fotobüchern nutzt Robert Adams die Doppelseite hier also nicht für eine spannungsgeladene Gegenüberstellung oder suggestive Verbindung der formalen und inhaltlichen Aspekte der beiden Fotografien wie im Fall von North of Keota (vgl. Abb. 2). 6–8 Robert Adams White Churches of the Plains, 1970 Colorado Associated University Press 84 Seiten, 25,3×21,6 cm Ohne Seitenzählung

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