Leseprobe

44 Die Fotobücher der 1970er Jahre 140 Vgl. zum Begriff des Paratextes nach Genette Wolf 2008 [1998]d (wie Anm. 74). 141 Vgl. Truettner 1991 (wie Anm. 80); Thomas Hornsby Ferril (1896–1988) war von 1926 bis 1968 Werbeleiter bei der Great Western Sugar Company in Denver. In den folgenden Jahren wurde er zu einem der bedeutendsten Heimatdichter der Region, 1979 zum »Poet Laureate of Colorado« ernannt (vgl. http://archives. getty.edu:30008/a/ampo20/bios/am22025.bio. html, zuletzt 10. 8. 2021). 142 Um den Lesefluss nicht unnötig zu unterbrechen, erscheinen die Nachweise der Textstellen aus den jeweiligen Fotobüchern im Haupttext. White Churches ist nicht paginiert. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit wurden die Seitenzahlen vom Verfasser ergänzt. 143 Chuang spricht später angesichts dieser Kirchenbauten durchaus programmatisch von »late frontier buildings«; vgl. Chuang 2014: 9. 144 Genette bezeichnet das Vorwort allgemein als »eine ›unbestimmte Zone‹ zwischen innen und außen, die selbst wieder keine feste Grenze nach innen (zum Text) und nach außen (dem Diskurs der Welt über den Text) aufweist« (Genette 1992 [1987]: 10). Wirth ergänzt, dass der »Vorwortverfasser und Leser [...] mit Bezug auf den nachfolgenden Haupttext bestimmte Verstehensbedingungen aushandeln [kann]« (Wirth 2009: 171). 145 Nünning 2008: 12 (wie Anm. 43); zur Erinnerung: Nünning verwendet den Begriff »Reisebericht« (vgl. zur Differenzierung dieser Begriffe Anm. 42). 146 Vgl. Adams 1970: 7. Anders als Early Hispanic Colorado enthält White Churches allerdings keinen bibliografischen Anhang. 147 Die unterstellte Beispielhaftigkeit der im Buch vorgestellten Kirchenbauten kommt auch im Untertitel zum Ausdruck: Examples from Colorado. 148 Vgl. Merchant 2003: 12 (wie Anm. 90). Sprachtexte Das Fotobuch White Churches of the Plains enthält vier verschiedene Textmuster: ein Vorwort, eine Vorrede, den zentralen Essay und die Bildunterschriften. Sie alle sind auf unterschiedlichen Erzählebenen zwischen Paratext und eigentlichem Text angesiedelt und erfüllen dementsprechend verschiedene Funktionen imHinblick auf die Erzählung. Das zweiseitige Vorwort dient als Paratext im Sinne Genettes.140Thomas Hornsby Ferril betont darin den unterstellten Symbolcharakter der Kirchenbauten für die Identität des US-amerikanischenWestens und überträgt diese Einschätzung gemäß dem tradierten Topos des »The West as America« auf die gesamte Nation,141 indem er schreibt, »these little white churches [...] stand for something powerful and luminous in the westering of American life« (Adams 1970: 5).142 Mit der Formulierung eines »westering of American life« bezieht sich Ferril unausgesprochen auf das Konzept der Frontier, das er auch an anderer Stelle bemüht, wenn er etwa die frühen euro-amerikanischen Siedler in Colorado als »plains folk« bezeichnet, »slapping the mud into their first adobe bricks and toiling later with their saws and hammers on rough timbers« (Adams 1970: 6).143 Quasi im gleichen Atemzug beklagt Ferril – im Sinne des zweiten recovery narrative (nach Merchant [2003]) – die bevorstehende Zerstörung dieser Tradition: »Sad and wicked to me is this ruthless bulldozing into oblivion of so much of America’s architectural past [...] What remains of the little white churches will soon be gone« (Adams 1970: 6). Die Essenz dieses Vorworts lautet also: Mit den »kleinen weißen Kirchen« droht ein wesentlicher Teil der nationalen Identität verloren zu gehen. Dies ist der plot, den Robert Adams seiner Bildfolge unterlegt.144 Das Textmuster der Reiseerzählung ist, wie Nünning darlegt, »noch in starkem Maße von den Mythen des Augenzeugen und des Authentischen geprägt. Autorität und Wahrheitsanspruch [...] gründen in der eigenen Beobachtung und Erfahrung des Autobiographen beziehungsweise Reisenden, das heißt im Selbsterlebten«.145 Insofern spielt der Erzähler eine besondere Rolle. So betont Ferril seinen eigenen familiären Bezug zur Christianisierung des Westens mit den Worten »my people had something to do with bringing religion to the plains« (Adams 1970: 6). Diese Formulierung leistet zweierlei: Zunächst behauptet der Autor/Erzähler damit eine ungebrochene Traditionslinie von den Pionieren bis in die Gegenwart und damit die Existenz eines homogenen Kulturraums. Darüber hinaus legitimiert er sich gewissermaßen selbst als Fachmann für die Geschichte des Westens. Diese Form der (auto-)biografischen Beglaubigung, die uns bereits in der Analyse von North of Keota in Person der Figur Clyde Stanley begegnet

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