Leseprobe

156 Die Fotobücher der 1970er Jahre 448 Mark Klett äußert zu Beginn des Vorworts zu Second View wörtlich: »Between 1977 and 1979, over 120 nineteenth-century photographs were repeated by the Rephotographic Survey Project [...]« (Klett 1984: 1; Hervorhebung: PF). Abgesehen vom Standort bemühten sich die Beteiligten um möglichst exakte Rekonstruktionen des Aufnahmewinkels, der Jahreszeit und der Stunde. 449 Vgl. Klett 1984; Kumar 2014. 450 Das RSP ist auf verschiedenen Ebenen lesbar. Wenn man die Beiträge von Verburg und Klett in Second View (Klett 1984) zugrunde legt, zielte das Projekt ursprünglich jedoch darauf, die Veränderungen der Landschaft anhand des direkten Vergleichs mit den Fotografien des 19. Jahrhunderts zu veranschaulichen. Rice zitiert aus dem Abschlussbericht des Projekts, in dem der Fokus eindeutig auf der dokumentierten Landschaft liege: »a survey of the geographic locations documented by the U.S.Geological Survey in the 1870’s« (Rice 2005: 225). Außerdem galt das Interesse den Arbeitsmethoden der frühen Survey-Fotografen. Erst in der Rezeption des Projekts rückten dann Aspekte der Bildkritik in den Vordergrund; vgl. Berger 1984. 451 Vgl. zum größeren Zusammenhang Staniszewski 1998. sensible Gleichgewicht zwischen Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit würde verloren gehen, sobald seine eigenen Bilder gegenüber den Vor-Bildern entweder ununterscheidbar würden oder der direkte visuelle Verweis nicht mehr lesbar wäre. In demMoment, in dem er Vor- und Nach-Bild direkt nebeneinanderstellen würde, geriete die Bildlichkeit beziehungsweise der konstruktive Anteil des Bildes zu offensichtlich in den Vordergrund.Dass dieses Konzept überhaupt funktionieren kann, liegt an der Popularität der Vor-Bilder. Während Robert Adams’ Arbeit an From the Missouri West fand ein Projekt statt, dessen Verantwortliche sich noch weit offenkundiger mit den Aufnahmen der SurveyFotografen auseinandersetzten, indem sie sie auf der Grundlage von mathematischen Berechnungen rund 100 Jahre später quasi wiederholten.448 Die Feldarbeit zum Rephotographic Survey Project (RSP) leisteten die beteiligten Fotografinnen und Fotografen zwischen Juli 1977 und 1979 unter der Leitung von Ellen Manchester, Mark Klett und JoAnn Verburg.449 Finanziert wurde es von der Firma Polaroid und der National Endowment for the Arts (NEA), die zwei Photography Survey Grants (1977 und 1978) und ein weiteres Stipendium zur Förderung einer Ausstellung (1979) vergab. Der Zugriff der beiden Projekte auf die Survey-Fotografie unterscheidet sich grundlegend. Klett und seine Mitstreiter lesen die historischen Aufnahmen als Zeugnisse einer historisch distinktenTopografie und einer historisch distinkten fotografischen Praxis, etwa im Hinblick auf die technischen Bedingungen ihrer Arbeit und die daraus resultierenden Entscheidungen der Fotografen.450 Robert Adams deutet O’Sullivans Fotografien hingegen als herausragend komponierte Landschaftsbilder und zugleich als Zeugnisse einer quasi idealen Landschaft. Er will sich über die bildliche Assoziation buchstäblich in die Tradition der US-amerikanischen Fotografie einschreiben, und zwar weniger im Sinne einer Nobilitierung des eigenen Werks als im Sinne einer Positionierung. Zugleich geht es ihm aber auch darum, die Erhabenheit des Old West auf die zeitgenössische, genauer auf die erzählte Landschaft zu übertragen. Wie unterschiedlich der Stellenwert der fotografischen Bilder in den beiden Projekten bewertet wurde, lässt sich an der Präsentation der Konvolute ablesen. Während Adams seine Aufnahmen gemäß dem vorherrschenden Paradigma der künstlerischen Fotografie als gerahmte Einzelbilder präsentierte, wurden die Ergebnisse des RSP jeweils dem Original gegenübergestellt, wodurch die Medialität und die historische wie technische Bedingtheit der Bilder in den Vordergrund rücken.451 Eine vergleichbare Gegenüberstellung würde Robert Adams’ Intention unterlaufen, weil eine Betonung der genannten Aspekte die ästhetische Illusion eines unmittelbaren Blicks auf die Landschaft zerstören würde.

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