Leseprobe

158 Fazit Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Forschungsarbeit richtete sich auf drei eng miteinander verwobene Fragen:Welche Bedeutungen schreibt Robert Adams der Landschaft des US-amerikanischen Westens in seinen Fotobüchern zu? Wie nutzt er dazu die Ausdrucksmittel des plurimedialen Fotobuchs, und wie verortet er sich mit dieser Praxis in der Geschichte der US-amerikanischen Fotografie? Im Folgenden werde ich die Ergebnisse der fünf Einzeluntersuchungen im Hinblick auf diese Leitfragen auswerten. Besonderes Augenmerk gilt dabei etwaigen Veränderungen imWerk des Fotografen während der 1970er Jahre. Außerdem resümiere ich die Anwendung der Narratologie auf das Fotobuch. Erinnerungsraum American West Die Erzählung, die Robert Adams seinen Fotobüchern über den US-amerikanischen Westen unterlegt, bleibt über die gesamte Dauer seines Schaffens weitgehend unverändert: Eine paradiesische Ur-Landschaft – der historisch und geografisch nicht exakt verortete Old West, in dem die Natur weitgehend intakt und die Gesellschaft von Harmonie und Bescheidenheit geprägt gewesen seien – wird durch den Einfluss des Menschen an den Rand der Zerstörung gebracht.452 Diesen Befund bezieht der Autor allerdings nicht allein auf die Bedrohung der Natur durch die Stadtentwicklung, die industrielle Forstwirtschaft und ähnliche Eingriffe. Er erweitert ihn vielmehr zu einer grundsätzlichen moralischen Kritik am Umgang des Menschen mit seinem natürlichen und kulturellen Erbe, kurz: dem gesellschaftlichen Status quo.453 Eine zentrale Rolle für sein Landschaftsbild spielt der christliche Glaube, und so ist der US-amerikanische Westen bei ihm in allererster Linie ein »evangelikaler Raum«.454 Obwohl er immer wieder zur Bewahrung der Umwelt aufruft, zielt Adams im Einklang mit dem millenaristischen Denken seiner Zeit letztlich auf den größeren Rahmen der Heilsgeschichte und somit auf die Erlösung bei Gott.455 Beide Aspekte des von ihm vertretenen Erinnerungsraums American West – die christliche Schöpfungslandschaft und den kulturhistorischen Old West – verbindet er wiederholt im Begriff der »Heimat« (»home«), in die der Mensch zumindest im Diesseits nicht zurückkehren könne, deren Andenken ihm jedoch als steter Quell der Erbauung diene.456 Die Gegenwart erscheint somit in mehrfacher Hinsicht als »Exil«, geprägt von einer tiefen Ambivalenz zwischen der Trauer über den Verlust und der Hoffnung auf Rückkehr.457 452 In Adams’ Essay »In the Nineteenth-century West« heißt es: »before we came to it in numbers the West was perfect« (Adams 1994 [1983]: 144). An anderer Stelle ist von einer »primordial beauty [...] that is no longer characteristic« die Rede (Adams 1996 [1981] a: 14). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch eine im Essay über Laura Gilpin formulierte Kindheitserinnerung des Fotografen: »[...] our family, recently out from Wisconsin, saw a West that remains for me an ideal – a landscape and a people in relative harmony.« (Adams 1994 [1988]: 91). Diese »relative Harmonie« markiert gemäß Adams’ Erzählung der Entwicklung des American West, wenn man so will, eine Etappe auf halbem Weg zwischen dem paradiesischen Urzustand dieser Großregion und der Situation der 1970er Jahre. 453 Dabei knüpft Adams an das Erzählmuster der Jeremiade an, das Reinartz als »die literarische Reflexion gesellschaftlicher Tendenzen [definiert], die als Leitmotiv in jeder Epoche der amerikanischen Historie und in jedem Genre nachzuweisen ist. Sie drückt die kritische Haltung des jeweiligen Autors zu den politischen, sozialen, ökonomischen und religiösen Entwicklungen seiner Zeit aus, indem sie die abweichenden gesellschaftlichen Tendenzen vom Gesellschaftskonzept des Jeremias [des Autors der Jeremiade] bemängelt« (Reinartz 1993: 16–17); vgl. außerdem Bercovitch 2012 [1978]. 454 Vgl. zum Begriff des »evangelical space« Tharaud 2014: 55 (wie Anm. 313). 455 Vgl. zum Einfluss des Millenarismus auf die US-amerikanische Geistesgeschichte Anm. 254. 456 Besonders prominent verwendet Robert Adams den Begriff im Titel seiner ersten großen Retrospektive: To Make it Home (vgl. Adams 1989). 457 Vgl. zu Adams’ Gebrauch des Begriffs »Exil« u.a. Adams 1994 [1986]: 178. »Hoffnung« (»hope«) ist ein weiterer Leitbegriff in seinem

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