162 Fazit 471 Der Begriff der Reflektorfigur (Stanzel) oder des focalizers (Genette) bezeichnet »ein Perspektivzentrum innerhalb der dargestellten Welt [...], von dem aus diese Welt unter Einschluß der ›Spieglung‹ der ›Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle‹ im Bewußtsein des Reflektors dem Rezipienten erschlossen wird« (Stanzel, Franz K.: Theorie des Erzählens, Göttingen 1979: 194; zitiert nach Kuhn 2011: 103). 472 Vgl. zur Fiktionalisierung realer Elemente Kuhn 2011: 70, Anm. 29; Zipfel 2001: 92–97; Rühling 1996: 25–51. Zur Unterscheidung zwischen Fiktionalität und Fiktivität grundsätzlich: Rühling 1996, 29–30. Ich schließe mich (wie Kuhn) der Position von Rühling an, der betont, »dass es sich bei Fiktionalität und Fiktivität um zwei logisch voneinander unabhängige Phänomene handelt« (Rühling 1996: 30), dass mithin reale Personen und Objekte in fiktionalen Texten auftauchen können. Zipfel spricht diesbezüglich von »realen Objekten in fiktiven Geschichten«. »Die Erwähnung dieser realen Objekte in fiktionalen Texten liefert die konkreten Anhaltspunkte für die Verbindungen der fiktiven Welt mit der realen.« (Zipfel 2001: 97). »Orte oder Personen der Wirklichkeit« könnten »durch explizite Erwähnung [...] zur fiktiven Welt einer Geschichte gehören« (Zipfel 2001: 113). 473 Vgl. Tschilschke 2000: 72 (wie Anm. 31). 474 Vgl. Kuhn 2011: 75–77, hier: 76. 475 Wolf 2008 [1998] b: 173. 476 Ebd.: 173–174. 477 Wolf schließt die Existenz einer extradiegetischen Ebene in Bilderzählungen aus und spricht in Bezug auf Bild-im-Bild-Effekte in William Hogarths Marriage A-la-Mode (1744) von einer »quasi hypodiegetische[n] Ebene als Ersatz für die in Gemälden nicht existente extradiegetische Ebene epischer Erzählungen und die von dort wiederholt vernehmbare Stimme eines kommentierenden und deutenden auktorialen Erzählers« (Wolf 2018 [2002] b: 399). Dem ist aus kunsthistorischer zugunsten der ästhetischen Illusion, man blicke auf die Landschaft selbst. Das Motiv des Bildes wird zum Schauplatz der Handlung, zur Mise-en-scène, Erzähler und Leser zu handelnden Personen. Über den Satz »I think of the grave of a man I knew on the plains« erzeugt der Autor die Illusion, der Ich-Erzähler blicke (immer wieder) in genau diesemMoment zusammen mit dem Leser auf die Landschaft und denke dabei an Clyde Stanley. Der Narrationszeitpunkt der sprachlichen Rahmenerzählung entspricht also jenem der Bilderzählung. Anschließend rekapituliert Robert Adams den Lebenslauf des Lokalzeitungsredakteurs auf einer anderen, zweiten Erzählebene in stark geraffter Form: hier die Illusion einer Erzählerfigur, welche die Biografie nacherzählt, dort die Lebensgeschichte selbst. Die Vermittlerinstanz – das »erzählende Ich« – kommentiert das Leben Stanleys und schreibt Figur und Landschaft auf diesem Wege Bedeutung zu: »it is compelling in its passion« und »The place – that was who he was, by his love for it«. Nachdem sie sich zu Beginn des ersten Satzes über das »Ich« als solche zu erkennen gegeben hat, tritt sie jedoch in den Hintergrund. Der Erzähler nimmt stattdessen die Perspektive des Lokalzeitungsredaktuers ein. Stanley wird also zur Reflektorfigur, dem focalizer, und zwar mit allen Sinnen: »He must have thought about the words for a long time ...; remembering I suppose the blizzards he’d watched through the front windows, the smell of sage after summer rains, the conversations he’d had with generations of neighbors.«471 Der beschriebene Übergang von der Perspektive des Ich-Erzählers auf jene der Figur dient der Illusion von Unmittelbarkeit und Authentizität und damit letztlich der Identifikation der fiktionalen mit der topografischen Landschaft.Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass es sich bei Clyde Stanley um eine historische Figur handelt. Indem Adams die Inschrift auf seinem Grabstein zitiert, verwebt er die fiktionale und die topografische Landschaft noch enger miteinander. Diese Form der Integration von Realia, lebensweltlichen Entitäten wie Objekten oder Personen, in die fiktionale Welt erlaubt es dem Autor, die Grenze zwischen diegetischem und extradiegetischem Raum möglichst offen zu halten. Dadurch kann er die über seine Erzählungen vermittelten Bedeutungen den topografischen Räumen selbst einschreiben und sie so zu Erinnerungsräumen werden lassen.472 Dabei profitiert Adams vom »medialen Realitätseffekt« der Fotografie.473 Gesondert sind die wenigen Fälle zu betrachten, in denen der Fotograf solche Realia über schriftsprachliche Elemente in der Landschaft in seine Fotografien integriert. Einschlägige Beispiele finden sich vor allem in The New West, etwa in Form der Straßenschilder De Cortez, Querida Dr[ive] (beide auf der Frontispiz-Fotografie; vgl. Abb. 19), Darwin Pl[ace] (S. 27) und Golden (vgl.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1