163 Robert Adams’ plurimediale Erzählungen im Fotobuch Sicht zu widersprechen. Man denke nur an innerbildliche Störungen der ästhetischen Illusion durch den Einbezug illusionistisch gemalter Rahmen oder Vorhänge, z.B. in der holländischen Genre- und Stilllebenmalerei. Gleiches gilt für die Markierung der Materialität von Bildern durch Risse oder Knicke oder für Collagen und Montagen. Laut Caspers kann die »Innensicht einer Figur [...] auf dem Foto nicht zur Darstellung gelangen [...], wie dies mit literarischen Mitteln, etwa dem Bewusstseinsstrom, der den Fall einer internen Fokalisierung darstellt, möglich ist und vermittels dessen der Leser in die Wahrnehmungsperspektive der erlebenden Figur eintreten kann« (Caspers 2017: 57); vgl. auch die Einwände von Schürmann (Anm. 327). Dem ist entgegenzuhalten, dass zumindest mit Unschärfe und vergleichbaren Mitteln gearbeitet werden kann. Natürlich bedarf es einer Übertragungsleistung seitens der Rezipienten. Das gilt aber für Sprache, noch dazu für geschriebene, umso mehr. Außerdem ist auf den Effekt der ästhetischen Illusion zu verweisen. 478 Jannidis 2002: 550. Abb. 51) oder des großflächigen Werbeschilds der Mineralölfirma Frontier Oil an einer Tankstelle am Pikes Peak (vgl. Abb. 49). Die Assoziationen, die diese Namen und Begriffe wecken, nutzt der Fotograf, um der Landschaft auf der Ebene der Diegese (quasi unmittelbar) Bedeutung zuzuschreiben. Doch inwieweit lässt sich überhaupt von einem Bilderzähler sprechen? Laut Kuhn »hält sich die grundsätzliche Ablehnung einer narrativen Instanz in der Filmwissenschaft hartnäckig an dem Argument fest, dass sie in irgendeiner Weise anthropomorphe Züge oder eine konkrete ›Stimme‹ haben müsste«.474 Dem ist entgegenzuhalten, dass auch der Spracherzähler, sofern er in schriftlichen Texten auftritt, »nur als Vorstellungsobjekt aufgrund mehr oder weniger deutlicher Spuren [...] rekonstruiert werden kann«.475 Im Fall von »extrem innenperspektivischen Darstellung[en] wie im inneren Monolog« tendieren die »Spuren des [Sprach-]Erzählers gegen Null«.476 In Sprachtexten kann der anthropomorphe Ich-Erzähler allerdings zumindest durch das entsprechende Personalpronomen eindeutig markiert werden. Anders verhält es sich mit der narrativen Instanz in Fotografien. Zwar kann sie über den Blick unmittelbar verkörpert werden, sie hat jedoch keine Möglichkeit, ihre Beobachtungen zu kommentieren – zumindest nicht auf dieselbe Art wie ein Spracherzähler.477 Jannidis nennt mehrere Anzeichen für die Existenz eines Erzählers im literarischen Text, von denen sich drei auch auf einen Bilderzähler anwenden lassen: »jede literarische Anspielung oder farbige Metapher, jedes mythologische oder symbolische Muster im Text«, außerdem »alle Anzeichen für Eingriffe in die natürliche Folge, Proportion oder Dauer von Ereignissen« sowie »die Auswahl dessen, was erzählt wird«.478 Der »literarische[n] Anspielung oder farbige[n] Metapher« entspräche in der Fotografie etwa das Zitat eines bestimmten Motivs oder einer Bildsprache. Beides setzt Robert Adams regelmäßig ein, sei es das ikonische Motiv der einfachen Holzkirchen in White Churches oder die Bildsprache der Survey-Fotografen in From the Missouri West. »Eingriffe in die natürliche Folge, Proportion oder Dauer von Ereignissen« kommen bei ihm hingegen eher selten vor, um die ästhetische Illusion nicht zu stören. Die wenigen Beispiele für diese Erzählweise finden sich in Mehrbildfolgen wie am Beginn der Bilderzählung in From the Missouri West.Meist tritt der Bilderzähler in Adams’Fotobüchern indirekt in Erscheinung durch »die Auswahl dessen«, was er dem Betrachter zeigt. Das wird insbesondere in den Eröffnungs- und Schlussbildern der Bücher deutlich, die uns an einen bestimmten Ort führen und eine bestimmte Zeitspanne aus dem ewigen Zeitlauf isolieren. Sei es der Moment des Einbiegens auf einen Feldweg (vgl. Abb. 20), das Verlassen des Weges (vgl. Abb. 51) oder der Anstieg auf einen Bergrücken und der Übergang in den Himmel
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1