Leseprobe

9 Was hat Freiburg mit dem Kolonialismus zu tun? Dies ist eine Frage, die während der Vorbereitung dieser Ausstellung oft im Raum stand. »Sehr viel«, war darauf eine Antwort, und »wenig Spektakuläres«, denn Freiburg war kein »key player« weder des europäischen noch des deutschen Kolonialismus, aber Teil einer Gesellschaft, die den Kolonialismus getragen, gestützt und letztlich maßgeblich ermöglicht hat. Freiburgs Bevölkerung unterstützte das koloniale Projekt auf der Ebene einzelner Personen durch aktive militärische, ökonomische oder wissenschaftliche Beteiligung, vor allem aber war es die gesamte Stadtbevölkerung, die in unterschiedlichsten Zusammenhängen durch ihren Alltag, den Konsum von Waren, Bildern und Gedankengut mit dem Kolonialismus verflochten war. Diese mit dem Kolonialismus verwobenen Facetten des Alltags, die weit in das persönliche Leben der Menschen reichten, sind das Spannende am Ausstellungsprojekt »Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!«. Sie machen deutlich, dass – unabhängig vom persönlichen Engagement – sich der oder die Einzelne auf der Seite der Gesellschaft, die Kolonialismus ausübte, diesem ebenso wenig entziehen konnte wie diejenigen in den kolonial unterdrückten Bevölkerungen. Eine solche Durchdringung der jeweiligen Gesellschaften bedeutet gleichzeitig, dass vom Kolonialismus geprägte Strukturen, aber auch Vorstellungen und Haltungen auf beiden Seiten tief in das kollektive Bewusstsein eindrangen, in nächste Generationen vererbt wurden und bis in die Gegenwart nachwirken. Die Ausstellung zeigt daher nicht nur aus historischer Perspektive, auf welche Weise die Freiburger Stadtgesellschaft mit dem Kolonialismus verflochten war, sondern ebenso, wie diese Verflechtungen bis in die Gegenwart fortwirken. Sie belegt, dass wir umgeben sind von Spuren der Kolonialzeit (vgl. von Poser & Baumann 2016: 15). Nicht nur die deutsche Gesellschaft, ob in Freiburg oder andernorts, ist von diesen Spuren umgeben, sondern auch – oder sogar vor allem – die Gesellschaften, die kolonial unterdrückt worden sind. Dies und damit die gemeinsame Geschichte verbindet uns heute mit diesen Gesellschaften. Die Ausstellung und der Katalog sind daher eine Einladung, sich in Bezug auf die Stadt Freiburg und ihr Umland sowie mit Blick auf die deutsche Gesellschaft insgesamt kritisch mit der Geschichte und den Folgen des europäischen, vor allem aber des deutschen Kolonialismus auseinanderzusetzen. Einleitung Beatrix Hoffmann-Ihde

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1