Leseprobe

2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit 27 q die Hauptstädte der vier Besatzungsmächte gesprochen werden.52 Zudem wurde es nun notwendig – so stand es im Ersten Kontrollabkommen der Alliierten – in einem Zweiten Kontrollabkommen fortdauernde Kontrollmechanismen der Besatzungsmächte über Österreich festzulegen. Es trat am 28. Juni 1946 in Kraft, und die »Souveränität Österreichs« wurde durch dieses Zweite Kontrollabkommen »beträchtlich erweitert«.53 Entscheidend war, dass Österreich fortan in der Gesetzgebung mehr Eigenständigkeit zugestanden wurde und der Alliierte Rat nur noch ein einstimmiges Vetorecht besaß (Artikel 6). Obgleich den Besatzungsbehörden Aufgaben entzogen und den Österreichern übertragen wurden – die alliierten Militärregierungen waren zukünftig nur noch Kontrollinstanzen54 –, blieben die Besatzungsmächte, statt der im Abkommen festgelegten weiteren sechsmonatigen Besatzung, letztendlich bis 1955. Damit begann die dritte Phase der Besatzung. Im Artikel 5 des Zweiten Kontrollabkommens hatten die sowjetischen Vertreter bewusst einenwichtigen Punkt vage gehalten. Das Thema »Deutsches Eigentum« entwickelte sich nun »zur Interpretation eines Rechtsproblems«. Wesentliche Teile der österreichischen Schwer- und Grundstoffindustrie, fast die gesamte Elektrizitätswirtschaft und große Teile des Bankenwesens waren nach 1945 in deutschem Besitz geblieben. Die Alliierten hatten sich dieses deutsche Eigentum zugesprochen, und die Sowjetunion versuchte sich durch Beschlagnahmungen zu nehmen, was ihr nach eigenen Ansichten zustand.55 Der Weg zum Staatsvertrag war deshalb von den Verhandlungen über die Reparationsleistungen Österreichs an die UdSSR geprägt.56 Die unrealistische Erwartungshaltung der sowjetischen Führung und die daraus in der österreichischen Bevölkerung resultierende Antipathie wurden offensichtlich: »Die Sowjetunion demontierte Fabriken, beschlagnahmte Erdölfelder und erwartete gleichzeitig politische Sympathien.«57 Zu den Reparationsforderungen der Sowjetunion kam das Ausloten zwischen den Alliierten um die politische Unterstützung für Jugoslawiens Gebietsforderungen an Österreich und Italien.58 Eine Annäherung zwischen den Alliierten fand erst im Frühjahr 1949 auf der Außenministerkonferenz in Paris statt, als die UdSSR darauf einging, Jugoslawien in seinen Gebietsansprüchen nicht mehr zu unterstützen, dafür aber eigene Forderungen nach Reparationszahlungen durch Österreich durchsetzen konnte. Ein fertig ausgearbeiteter Vertrag sollte zum 1. September 1949 unterzeichnet werden.59 Dies scheiterte jedoch an verschiedenenweltpolitischen Entwicklungen, von denen die nunmehr vertraglich festgelegte deutsch-deutsche Teilung ein entscheidender Faktor war.60 Vielmehr wurde jetzt offensichtlich, was sich seit 1945 angedeutet hatte: »Die geopolitische Lage Österreichs machte das Land nun einmal zu einemHandelsobjekt im Kalten Krieg. Die Sowjets fürchteten, daß ein freies Österreich in die Einflusssphäre des Westens, die USA fürchtete, daß ein freies Österreich in die Einflußsphäre des Ostens geraten könnte.«61 Das Land sollte nun bis 1955 zu einem»Spielball« im »Kalten Krieg« werden, zu einem»Hauptschauplatz [...], wo es galt, die Kommunisten mit allen Mitteln einzudämmen«,62 denn dieMachtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 in der Tschechoslowakei hatte in Österreich die Angst vor einemähnlichen Schicksal verstärkt.63 Freilich war die Frage des politischen Status Österreichs eng an die Deutschlandfrage gekoppelt – auch das sollte bis 1955 so bleiben.64 Erst nach der zweiten freien Wahl in Österreich im Februar und Stalins Tod im März 1953 kamen die Verhandlungen zum Staatsvertrag aus der Stagnation.65 Unter dem neuen Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) versuchte die österreichische Regierung den Westmächten entgegenzukommen, indem man versicherte, ein »neutrales Österreich« solle – am Beispiel der Schweiz orientiert – durchaus auch militärische Mittel besitzen.66 Im Oktober 1954 wurde der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO beschlossen. Sämtliche sowjetische Drohungen, dass die Ratifizierung des Beitrittvertrages die dauerhafte Trennung Deutschlands nach sich ziehe, hatten keine Wirkung. Die Trennung der beiden deutschen Staaten blieb bestehen, dennoch begann sich im Januar 1955 die Deutschland- von der Österreichfrage zu lösen. Entscheidend für den endgültigen Abzug der Alliierten aus Österreich war für die sowjetische Regierung, dass Österreich nicht mehr von Deutschland annektiert werden könne und es von Seiten Österreichs für diesen Schritt ein eindeutiges Votumgebenmüsse.67 So ist der entscheidende Weg zum Staatsvertrag während der Verhandlungen von Januar bis Mai 1955 von unterschiedlichen Einflussfaktoren geprägt.68 Neben der signalisierten Verhandlungsbereitschaft der UdSSR war es ein Alleingang der österreichischen Regierung

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