3.1 Die Entwicklung des Gefallenengedenkens im deutschsprachigen Raum und in der UdSSR/ Russländischen Föderation Wie bereits zu Beginn der Untersuchung dargestellt, widmet sich die vorliegende Studie dezidiert den drei großen sowjetischen Ehrenmalen in den Hauptstädten Berlin und Wien. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass in der UdSSR sowie in fast allen von der Sowjetunion besetzten Staaten zwischen 1945 und 1990 zahlreiche vergleichbare Anlagen geschaffen wurden. So steht in der Russländischen Föderation mit demMamajev-Kurgan in Volgograd das größte Ehrenmal zur Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg«. Zugleich sind diese Ehrenmale Teil der langfristigen Entwicklung des Gefallenengedenkens. Diese soll im Folgenden knapp von den Napoleonischen Befreiungskriegen bis nach 1945 komparatistisch sowohl für den deutschsprachigen Raum als auch für die Sowjetunion nachgezeichnet werden.1 Daran schließt sich die exemplarische Vorstellung von Beispielen an, die den heutigen Umgang mit den sowjetischen Ehrenmalen in den post-kommunistischen Staaten veranschaulichen sollen.2 Entscheidend bei der Auswahl aus der unüberschaubaren Vielzahl der sowjetischen Denkmale ist dabei die skulpturale Darstellung eines oder mehrerer Angehörigen der Roten Armee und/oder der Figur der »Mutter Heimat«.3 Abschließend soll der administrative Umgang Deutschlands und Österreichs mit den sowjetischen Ehrenmalen in den europäischen Kontext eingeordnet werden. Imdeutschsprachigen Raumentstand –wie der einschlägige Sammelband von Manfred Hettling und Jörg Echternkamp zeigt – nach dem Ende der Napoleonischen Befreiungskriege ein neues Paradigma des Gefallenengedenkens. Dieses zeichnet sich durch Individualisierung, Ritualisierung, Monumentalisierung sowie politisierte Religion aus.4 Hettling und Echternkamp unterscheiden für Deutschland drei Zeitphasen des Gefallengedenkens. Die erste Phase dauert von 1813 bis zumErstenWeltkrieg. Das Sterben für das Vaterlandwar – aufgrund der gewonnenen Kriege von 1813/15, 1864, 1866 und 1871 – »heldenhaft«, und »das individuelle Opfer für die zu errichtende Nation« stand fortan im Mittelpunkt des Gedenkens.5 Das Sterben für das Vaterland im Krieg war in der Bevölkerung hoch angesehen, und so sind die Kriegerdenkmäler dementsprechend gestaltet. Es erfolgt eine Symbolisierung des Sieges, der Fürst wird als Sieger/Einiger der Nation dargestellt, und die Symbole des neuen Staates stehen gestalterisch im Vordergrund. Gefallene Soldaten werden in aller Regel nicht dargestellt, wohl aber namentlich genannt. Der Erste Weltkrieg verursacht eine zweite Phase des Gefallenengedenkens. Von den drei Elementen »Gott – König – Vaterland überdauerte nun allein die nationale Komponente«.6 In zahlreichen Kriegerdenkmälern wurde die »Überhöhung des Kriegserlebnisses sichtbar«, nicht zuletzt, um die Erfahrung der Niederlage zu kompensieren. Der uniformierte Soldat war der »Held«, der in den Denkmalen dargestellt wurde. Trauer war aber der Grundton der offiziellen staatlichen Feiern zum Gedenken an die Opfer.7 ImNationalsozialismus wurde konsequenterweise der »Volkstrauertag« zum »Heldengedenktag« umbenannt und besonders die Errichtung von Kriegerdenkmalen gefördert.8 »Die Bereitschaft zum Opfer für das Vaterland wurde [...] als rassische Qualität und völkische Aufgabe inszeniert.« Vor allem aber enthielt der geplante und durchgeführte Völkermord an Millionen von Zivilisten aufgrund der »Steigerung der Tötungsweisen, bis hin zur Vergasung, einen geschichtlichen Qualitätssprung«.9 Aus dieser sinnlosen Radikalität heraus definiert sich nach 1945 die dritte Phase des Gefallenengedenkens und implizierte die Forderung nach »Sinnstiftung« des gewaltsamen und wertlosen Todes für die Millionen Gefallenen und Ermordeten. In der Bundesrepublik gedachte man der Gefallenen zunächst durch zusätzliche Opfertafeln an den bereits bestehenden Kriegerdenkmalen der beiden bisherigen Kriege seit 1870/71. Zahlreiche Konflikte, beispielsweise über die angemessene Erinnerung an Verfolgung und Widerstand, verdeutlichten allerdings die Grenzen dieser Art des Gedenkens.10 Erst nach der Wiedervereinigung und einer komplexen öffentlichen Debatte wurde 1993 in der Neuen Wache in Berlin eine zentrale staatliche Gedenkstätte eingerichtet. Seitdem wird am Volkstrauertag »dort der gefallenen Soldaten und Opfer der deutschen totalitären Systeme im 20. Jahrhundert gedacht«.11 Hettling und Echternkamp konstatieren, dass sich die eingangs definierten Felder Individualisierung, Ritualisierung sowie Monumentalisierung seit 1813 kontinuierlich als »Kernelemente des neuzeitlichen Totenkults über alle Epochen- und Systemwechsel hinweg erhalten [haben]«.12 Für Russland ist hingegen das Totengedenken erst für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg umfassender erforscht. In der Zarenzeit zeigten die Denkmale eine »den Staat und Herrscher verklärende« Bildsprache, die häufig Symbole der russisch-orthodoxen Kirche verwendete.13 Den zentralen Stellenwert in der sowjetischen Erinnerungskultur nach 1917 hatten bis 1941 jedoch die
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