Leseprobe

4.1 Wien 1945 bis 1955: Ein sowjetisches Ehrenmal zwischen Befreiung, Niederlage und Besatzung1 Die Kämpfe umWienwurden am 13. April 1945 beendet.2 Unter der Führung vonMarschall Fëdor Ivanovič Tolbuchin hatte vor allem die 3. Truppe der Ukrainischen Front die österreichische Hauptstadt erobert. Rund 18 000 russische Soldaten sollen bei den Kämpfen um Wien gefallen sein.3 In Moskau ließ Stalin noch am Abend des 13. April 1945 24 Salven Salut aus 324 Geschützen schießen und feierte die Eroberung der nunmehr sechsten von der Wehrmacht befreitenHauptstadt mit einemFeuerwerk.4 Die Wiener erlebten diesen Tag dagegen äußerst ambivalent zwischen »Befreiung – Niederlage – Besetzung«.5 Als »Tag der Befreiung« wurde dieser 13. April 1945 selbst in den offiziell zugelassenen Zeitungen zunächst nicht bezeichnet. So wird knapp siebenMonate später, anlässlich des »Jahrestages der Oktoberrevolution« imNovember 1946, die Beziehung Österreichs zur Sowjetunion ausschließlich unter der Konnotation der Besetzung betrachtet: »Es ist oft sehr schwer, klarzumachen, daß wir der Sowjetunion in Treue und Freundschaft verbunden sind, obwohl wir ihre militärische Besetzung – wie die jeder anderen Macht – als Last empfinden und in ihre politischen, wirtschaftlichen und strategischen Großmachtinteressen so wenig hineingezogen werden wollen wie in die irgendeines anderen Staates.«6 Doch wie sah es in diesem »besetzten« Wien im April 1945 aus? Die Stadt war zu 13 Prozent zerstört.7 Die WienerWahrzeichen Stephansdom, Burgtheater und die Oper waren ganz ausgebrannt, das Parlament, die Albertina sowie die Universität von Bomben teilweise zerstört. Über 86 000 Wohnungen waren unbewohnbar. Die gesundheitliche Versorgung der Einwohner war desolat. Tausende unbestattete Tote sowieMüll- und Schuttberge lagen auf den Straßen, die Wasser- und Stromversorgung war größtenteils unterbrochen, und es gab keine geregelte Lebensmittelversorgung.8 Ebenso wie die logistische Versorgung der Stadt lag die Verwaltung Wiens brach. Eine zentrale Stadtverwaltung existierte nicht, jeder Bezirk sollte mit eigenem militärischemOrtskommandanten, Bürgermeister sowie selbstständiger Polizei arbeiten. Durch die Dezentralisierung der Verwaltung stieg auch die Kriminalität stark an.9 Der erste Bürgermeister Wiens, Theodor Körner (SPÖ),10 wurde am 17. April 1945 durch den sowjetischen Stadtkommandanten Aleksej Blagodatov eingesetzt. Wenige Tage nach einem ersten Kontrollabkommen zwischen den Alliiertenwurdemit dem»Abkommen betreffend die Besatzungszonen und die Verwaltung der Stadt Wien« vom9. Juli 1945 die Verfassung der Stadt Wien von 1931 wieder in Kraft gesetzt. Die Stadtverwaltung konnte wieder zentralisiert arbeiten. Im Juni 1945 nahm die Polizeidirektion Wien ihren Dienst wieder auf.11 Wie bereits erwähnt, war Wien – im Gegensatz zu ganz Österreich – zu diesem Zeitpunkt ausschließlich sowjetisch besetzt. Der erste offen zu Tage tretende Konflikt der Alliierten – die Briten weigerten sich, ihre Besatzungszone aufgrund von Uneinigkeiten über mögliche Versorgungswege für ihre Zone zu übernehmen – konnte erst imSeptember 1945 gelöst werden.12 Vier Stadtkommandanten leiteten fortan die Verwaltung der Stadt, deren Bezirke zwischen den Alliierten aufgeteilt waren. Nur die Innenstadt Wiens, der 1. Bezirk, war eine Interalliierte Zone, in der die Stadtkommandanten im vierwöchigen Wechsel die Führung übernahmen. De facto bis Mai 1955, bis zumAbschluss des Staatsvertrages, war dann auch die »Wiener Interalliierte Kommandantur« die »eigentliche Regierungsbehörde [...], der alle Gesetze und Verordnungen der Wiener Stadtregierung zur Zustimmung zu unterbreiten waren«.13 Erst im Juni 1946 – mit einem Zweiten Kontrollabkommen zwischen den Alliierten – wurde der Wiener Bevölkerung der Reisieverkehr zwischen den in Zonen aufgeteilten Wiener Stadtbezirken erlaubt. Freilich gestaltete sich der Übergang an den sowjetischen Zonengrenzen amschwierigsten.14 Zudemmussten die Einwohner der sowjetisch besetzten Zonenmiterleben, wie deutsche Vermögenswerte–gewissermaßen als Reparationsleistungen – an die Sowjetunion ausgeliefert oder zerstört wurden. Amerikaner, Briten und Franzosen gaben dagegen deutsches Eigentum größtenteils an Österreich zurück.15 Die Problematik, wie mit deutschem Eigentum auf österreichischemGebiet umzugehen sei, war letztlich auch ein entscheidender Faktor, der die Verhandlungen zum Staatsvertrag beeinflusste und verzögerte.16 In der sowjetischen Zone waren willkürliche Verhaftungen vonWiener undWienerinnen sowie ihre Verschleppungen in die Sowjetunion noch 1948 eine durchaus gängige Praxis.17 Aufgrund der zahlreichen Vergewaltigungen herrschte vor allem unter Mädchen und Frauen große Angst vor den sowjetischen Besatzungssoldaten. Genaue Zahlen können naturgemäß nicht genannt werden, jedoch gehörten durch sowjetische Besatzungssoldaten verübte Vergewaltigungen oder andere Straftaten, wie Raub oder Mord, bis 1955 zumAlltag in diesen Zonen.18 Wie groß die Angst vor den sowjetischen Besatzern gewesen sein muss, zeigt auch eine Niederschrift des ersten sowjetischen Wiener Stadt-

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