4.1 Wien 1945 bis 1955: Ein sowjetisches Ehrenmal zwischen Befreiung, Niederlage und Besatzung1 95 q gung ehemaliger Nationalsozialisten.35 Innenpolitisch zeigte die Große Koalition aus ÖVP, SPÖ und KPÖ 1946 mit dem Nationalsozialistengesetz den Willen, mit der Vergangenheit abzurechnen. Diese Abrechnung endete jedoch spätestens 1948, denn »eine halbe Million Menschen waren ja auch eine halbe Million Wähler«.36 Bei den für Oktober 1949 angesetzten zweiten freien Wahlen nach Kriegsende konnte die neugegründete Wahlpartei der Unabhängigen (WdU)mit knapp 490 000 Stimmen auch einen Großteil der Stimmen ehemaliger Nationalsozialisten für sich verbuchen. ÖVP und SPÖ blieben unter Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) dennoch die führenden Parteien.37 Die dritten freien Wahlen im Februar 1953 brachten nur eine unwesentliche Veränderung des Ergebnisses mit sich, die KPÖ verlor weiter an Stimmen, und die ÖVP stellte mit Julius Raab erneut den Kanzler. Dass der nunmehr als österreichischer Außenminister amtierende Leopold Figl am 15. Mai 1955 – dem Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages – Österreich als »frei« bezeichnete und später den Vertrag auf dem Balkon des Oberen Belvederes stehend der Menschenmenge zeigte,38 war eine merkwürdige Konstellation. Fand die Feier doch in der Nähe des sowjetischen Ehrenmals statt, das an die totale Niederlage und sowjetische Besatzung des vergangenen Jahrzehnts erinnerte. »Gestern wurde das ›Befreiungsdenkmal‹ der Roten Armee, das künftig den noblen Abschluß unseres Schwarzenbergplatzes verschandeln wird, enthüllt.«39 4.1.1 Errichtung und Einweihungsfeierlichkeiten Von der Wiener Ringstraße aus gesehen liegt der Schwarzenbergplatz langgestreckt auf 400 Metern stadtauswärts in Richtung Süden.40 Die ungewöhnlich anmutende Aufteilung dieses dreigliedrigen »Straßen-Platzes« ist unter anderem auf seine diskontinuierliche Erbauung sowie die heutige Verkehrsführung zurück zu führen.41 1859 wurde – als Teil der Ringstraßenbebauung42 – ein Rechtecksplatz angelegt, der von der Ringstraße bis zur heutigen Lothringerstraße reichte. Hier befanden sich je drei gegenüber angeordnete »monumentale, palaisartige, halböffentliche Gebäude«.43 Den Mittelpunkt des Platzes bildete das von Ernst Julius Hähnel geschaffene und 1867 enthüllte Reiterstandbild Fürst Karl Philipp zu Schwarzenbergs (1771–1820), jenem österreichischen Feldmarschall, der als Oberbefehlshaber der verbündeten Truppen gegen Napoleon im Oktober 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig gewann.44 Die Einweihung des Denkmals, am 20. Oktober 1867, war – in für Österreich politisch schwierigen Zeiten kurz nach demverlorenen Krieg gegen Preußen – ein »anachronistischer Versuch der kompensativen Imagepflege«.45 Abb. 108 Blick zum Palais Schwarzenberg (Postkarte etwa 1890)
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