Leseprobe

Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin und Wien 1945 bis 2010 205 q Hinsichtlich seiner politischenNutzung nimmt das Treptower Ehrenmal zwischen seiner Errichtung und dem Ende des Kalten Krieges naturgemäß eine Sonderstellung ein, denn als einzige der betrachteten Anlagen befand es sich innerhalb des sowjetischen Herrschaftsbereichs. Das Ehrenmal stieg deshalb rasch zu einem der zentralen Aufmarsch- und Gedenkorte der SED auf, von dem eine Legitimation der Parteiherrschaft und eine Versinnbildlichung des Schulterschlusses mit der Sowjetunion ausgehen sollte. Die Nutzung durch die Staatsführung der DDR sowie Repräsentanten der SED war an vier Tagen des Jahres üblich: am »Tag der Sowjetarmee« (23. Februar), am »Tag der Befreiung« (8. Mai), am Nationalfeiertag der DDR (7. Oktober) sowie am »Tag der Sozialistischen Oktoberrevolution« (7. November). Gerade die ausführliche Betrachtung der Feiern am 8. Mai haben gezeigt, dass das Treptower Ehrenmal seine Funktionen im politischen System der DDR zunehmend erfüllt hat: die Ritualisierung des Dankes für die Befreiung vom »Hitlerfaschismus«, diewiederumder legitimatorische Urgrund des Selbstverständnisses der SED als staatstragender Partei darstellte. Dabei erstarrte die Symbolsprache der Gedenkzeremonien und Feierlichkeiten am Ehrenmal bis 1990 zunehmend und verschwand naturgemäß 1990 fast vollständig. Durch die fortwährende Verwendung der Soldatenfigur mit demKind auf demArm – als Bühnenbild auf Parteitagen der SED, in Publikationen der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft oder als Heldengeschichte in den Lese- oder Heimatkundebüchern aller Schulen – erfolgte vor allemseit den 1960er Jahren eine Popularisierung des zentralen Gedenkortes sowie eine sukzessive Steigerung der mit dem Ehrenmal verbundenen ideologischen Konnotationen. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt 1975 anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung mit einem »Meeting der Jugend« am Vorabend des 8. Mai, als 40 000 FDJler und Komsomolzen bei Fackelschein ihr Bekenntnis zum SED-Staat ablegten. Dass die offiziellen Kranzniederlegungen durch die Repräsentanten von Staat und Partei erst am 9. Mai stattfanden, zeigt den Spagat zwischen Fremd- und Selbstlegitimation, demdie Führung der DDR beständig unterworfen war. Gedenkfeiern mit ähnlichem Ablauf und wachsender Teilnehmerzahl folgten am 8. Mai 1980 und 1985. Auch hier stand die »Befreiung« von 1945 in ihrer fundamentalen Bedeutung für das Selbstverständnis und die Geschichtspolitik der SED imMittelpunkt. Eigenständige Nutzungsformen bzw. eine deutsche Gedächtnistradition konnten mit dem Treptower Ehrenmal nie nachhaltig verbunden werden. Zunächst besaß das Ehrenmal, imHinblick auf die Inanspruchnahme des Ortes sowie den Transport seiner symbolischen Bedeutung in das Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten der DDR, eher einenAußenseiterstatus. Erst in den 1960er Jahrenwurde in zunehmendemMaße in denMedien darüber berichtet, wie dieser Ort für politische Inszenierungen durch die Staats- und Parteiführung der DDR, Kollektive und Organisationen insbesondere an bestimmten Gedenktagen genutzt wurde. Dies zeigte sich vor alleman der zunehmenden Berichterstattung über stets wiederkehrende Feierlichkeiten zum »Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus« am 8. Mai. Erst in den 1970er Jahren wurden verstärkt Publikationen über das sowjetische Ehrenmal veröffentlicht, in denen auch häufiger der Versuch unternommen wurde, das Ehrenmal in einen nur scheinbar zutreffenden Kontext der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einzubetten. Doch das Treptower Ehrenmal blieb stets ein sowjetisches. Dies zeigte letztlich seine Nutzung an bestimmten Gedenktagen durch die Staats- und Parteiführung der DDR. Denn fast alle diese Tage, die am Treptower Ehrenmal inszeniert wurden, besaßen einen entscheidenden historischen Bezug zur UdSSR. Sowjetisch konnotierte Gedenktage, an denen es regelmäßig zu Kranzniederlegungen am Ehrenmal kam, waren der bereits erwähnte 23. Februar sowie der 7. November. Auchwenn darüber in den Tageszeitungen nicht so ausführlich berichtet wurde wie über den 8. Mai, waren diese Jahrestage von größter Wichtigkeit für die SED. Zwar ließ der Aufwand nach, mit denen die Zeremonien alljährlich begangen wurden, jedoch wurde auch mit dem wiederkehrenden Ritual der Kranzniederlegung an sowjetischen Feiertagen die dauerhafte Verbundenheit von UdSSR und DDR vorgeführt. Zwangsläufig reihten sich auch der 7. Oktober als Nationalfeiertag der DDR oder Zeremonien anlässlich der SED-Parteitage in diesen Kanon ritualisierter Kranzniederlegungen mit ein. Den geschichtspolitischen Stellenwert der Anlage in der DDR unterstrich letztmalig eine Protestkundgebung im Januar 1990mit über 250 000 Teilnehmern. Anlass waren vermutlich vom Ministerium für Staatssicherheit initiierte rechtsradikale Beschmierungen am Ehrenmal im Dezember 1989, gegen die sich die Demonstranten wandten und dabei den Erhalt der Sicherheitsbehörden in Nachfolge der Staatssicherheit forderten.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1