Leseprobe

2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit 25 q der Sowjetunion und der Bereich privater Erinnerung widersprachen sich häufig so entscheidend, dass ein Großteil der Einwohner der DDR lernte, zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Anschauung zu trennen.22 Die Auswirkungen der hier kurz skizzierten Ereignisse auf die Nutzung der Berliner Ehrenmale sollen im Kapitel 5 dargestellt werden. Zunächst vor allem durch die Partei- und Staatsführung, umdarauf aufbauend die spezielle Nutzung am 8. bzw. 9. Mai vergleichend zu analysieren sowie – soweit anhand der Quellen möglich – die Präsenz im öffentlichen Bewusstsein der DDR-Gesellschaft aufzuzeigen. Auf die geschichts- und außenpolitischen Beziehungen zwischen der Russländischen Föderation und dem wiedervereinigten Deutschland wird ausführlich in Kapitel 5.3.1 (rechtliche Grundlagen) eingegangen, ebenso auf die daraus resultierenden Debatten um den Verfall oder die Sanierung der sowjetischen Ehrenmale (5.3.2), die sich 1990 in einem stark baufälligen Zustand befanden. Auch die Interventionen von russischer Seite bei diesen Debatten werden dabei aufgezeigt. 2.2 Zwischen UdSSR/Russländischer Föderation und Österreich – Beständiges Streben nach Unabhängigkeit Die Rote Armee war die erste der alliierten Armeen, die am29. März 1945 die österreichische Grenze überschritt und am 13. April 1945 inWien einmarschierte.23 Bis zum 15. Mai 1955 – dem Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages – sollte es jedoch dauern, bis Österreich seinen »Doppelcharakter« als befreites und besetztes Land24 zugunsten einer politischen Neutralität verlor und sich künftig als freies Land bezeichnete.25 Die politischen Beziehungen zwischen UdSSR bzw. Russländischer Föderation und Österreich lassen sich anhand politischer Ereignisse in vier Zeitabschnitte untergliedern und sollen entsprechend dieser Periodisierung ausführlicher imFolgenden dargestellt werden. Von 1945 bis 1955 gab es ein Ringen um den Staatsvertrag, 1955 folgten der Staatsvertrag und die politische Neutralität, daraus resultierte von 1955 bis 1990 das Spannungsverhältnis vonNeutralität und Abhängigkeit, das sich seit 1990 in die politische Unabhängigkeit Österreichs auflöste. 1945 bis 1955 Ringen um den Staatsvertrag26 Schon vor Kriegsende hatte die sowjetische Regierung in Bezug auf Österreich das wichtigste Ziel formuliert: Die Wiederherstellung eines unabhängigen Landes in den Grenzen von 1937.27 Jedoch war es kein Hauptanliegen Stalins, dass Österreich kommunistisch werden sollte.28 Mueller spricht von einer »Grauzone, in der westlicher und sowjetischer Einfluss in einem freien Spiel der Kräfte wirken sollten«. Langfristig wollte die sowjetische Regierung den »friedlichen Übergang zu Volksdemokratie und Sozialismus einleiten«, indem politische »Schlüsselressorts« durch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) besetzt werden.29 Die beinahe zehnjährige Besatzungszeit unterteilt Eisterer in drei Phasen: Die erste Phase dauerte vom Kriegsende im April 1945 bis zur Anerkennung der ersten österreichischen Nachkriegsregierung unter Karl Renner durch die Alliierten am 20. Oktober 1945. Die zweite Phase dauerte bis zum Zweiten Kontrollabkommen, das am 28. Juni 1946 in Kraft trat, während die dritte Phase bis zum Abzug der alliierten Armeen im Oktober 1955 anhalten sollte.30 Bereits am27. April 1945 wurde unter Befürwortung der Sowjetunion eine Provisorische Staatsregierung unter dem der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) angehörenden Karl Renner konstituiert. Renner hatte bereits nach dem Zusammenbruch der Monarchie von 1918 bis 1920 das Amt des Staatskanzlers der Ersten Republik Österreich bekleidet, 1938 aber nach dem Anschluss an das Deutsche Reich diesen auch befürwortet. Der Einfluss der 1945 gebildeten Regierung endete zunächst an den Grenzen der sowjetischen Besatzungszone. Diese Begrenzung auf den sowjetischen Einflussbereich war auch in anderen osteuropäischen Ländern zu beobachten, die von der Roten Armee besetzt waren, auch Renner sollte als »willige Marionette des Kremls über [die, d. A.] nötige Autorität im Land verfügen, um zunächst alle antifaschistischen Kräfte zu einen und eine demokratische Regierung zu bilden, in der sich zunehmend die Kommunisten etablieren«.31 Beteiligt an dieser ersten Regierung der Zweiten Republik waren die drei großen Parteien gleichermaßen: die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die SPÖ und die KPÖ. Der KPÖ wurde dabei aber von Seiten der UdSSR keine Sonderstellung zugebilligt. Der einzige Vorteil, der sich aus ihrer Regierungsbeteiligung für die sowjetische Staatsmacht ergab, war die rasche Information über jeg-

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1