Ausgewählte Werke aus der Dresdner Skulpturensammlung Faszination Ägypten
Herausgeber: Staatliche Kunstsammlungen Dresden Stephan Koja Saskia Wetzig Faszination Ägypten Ausgewählte Werke aus der Dresdner Skulpturensammlung
9 Vorwort Stephan Koja 10 Von Göttern und Gräbern – die Aegyptiaca in Dresden als Spiegel der altägyptischen Kultur Friederike Seyfried 22 Das sächsische Barock und die Ägyptenfaszination des 18. Jahrhunderts Dirk Syndram 38 Zur Geschichte der ägyptischen Bestände der Skulpturensammlung Marc Loth 50 Katalog Manuela Gander, Marc Loth 174 Zeittafel für das Alte Ägypten 176 Karte Ägyptens 178 Glossar 184 Konkordanz 186 Bibliographie 192 Impressum Inhalt
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11 Von Göttern und Gräbern – die Aegyptiaca in Dresden als Spiegel der altägyptischen Kultur Friederike Seyfried Die Faszination, die bis heute von der altägyptischen Kultur ausgeht, hat letztlich dazu geführt, dass die Skulpturensammlung Dresden seit dem 18. Jahrhundert eine reiche Sammlung an Kunstobjekten dieser frühen Hochkultur ihr Eigen nennen darf. Die historische Genese der Sammlungsgeschichte und das Phänomen der Ägyptomanie werden in den entsprechenden Beiträgen dieses Bandes umfangreich und in all ihren Facetten bestens dargelegt. Darüber hinaus bietet der Katalogteil einen fachlich hervorragend recherchierten und ägyptologisch fundierten Überblick über die Dresdner Sammlung und ermöglicht, detailliert in die Vielfalt der altägyptischen Objekte der Skulpturensammlung einzutauchen. Die Katalogbeiträge gewähren mit ihren Beschreibungen und Erläuterungen einen präzisen Einblick in die jeweiligen kulturellen Kontexte der Objekte, sodass sich sowohl ihre historisch-chronologische Verortung als auch ihre kulturelle Zweckbestimmung optimal erschließt. Insofern möchte der vorliegende Beitrag lediglich ergänzend einige Aspekte der altägyptischen Kultur in Grundzügen darlegen und gleichsam verdichtet darauf verweisen, welche kulturellen Facetten der altägyptischen Kultur die Dresdner Sammlung am besten widerspiegelt. Es sei aber betont, dass auf diesen wenigen Seiten kein umfangreicher Abriss geleistet werden kann und dass für die geneigte Leserschaft auf ein breites Spektrum weiterführender Literatur verwiesen wird, das berufenere Fachkollegen andernorts in wegweisenden Monographien zur Kunst-, Kultur- und Religionsgeschichte niedergeschrieben haben.1 Die materiellen Hinterlassenschaften der altägyptischen Kultur haben sich vor allen Dingen aufgrund der ariden klimatischen Bedingungen in der Flussoase Ägyptens (Abb. 1) sehr viel besser erhalten als diejenigen anderer Kulturregionen und geben daher umfassend Auskunft über die gesamte Bandbreite einer mehr als 4 000 Jahre währenden Kulturgeschichte, beginnend mit der Frühzeit und der Herausbildung des Pharaonenreichs (um 2900 v. Chr.) bis in die Spätantike (5. Jahrhundert n. Chr.). Ein Blick auf das noch erhaltene Kulturgut zeigt jedoch, welch Ungleichgewicht im Erhaltungszustand und in der quantitativen Verteilung auf die einzelnen Kulturbereiche vorliegt: In der Architektur haben sich die monumentalen Tempel und Gräber aus Stein außergewöhnlich gut erhalten (Abb. 2) – ihre ebenfalls nachweisbaren Pendant-Bauten aus Lehmziegeln dagegen vergleichsweise seltener. Dasselbe gilt für die Wohnhaus- und Palastarchitektur, deren in Stein geschaffene Komponenten besser überlebt haben als das Gros der Ziegelmauern, die noch dazu häufig unter heute bebautem Siedlungsgebiet liegen oder von fruchtbarem Ackerland überdeckt sind. Tempel und Gräber sind also vergleichsweise besser gegenwärtig als die altägyptische Siedlungsstruktur. Noch deutlicher wird die Asymmetrie bei einem Blick auf das jeweilige ursprünglich vorhandene Inventar. In Tempeln sind nahezu ausschließlich die dekorierten Wände und monumentale Steinplastiken erhalten geblieben oder freigelegt worden, sieht man von Depotfunden zahlreicher Votivgaben und -figuren (vgl. Kat.-Nr. 3, 6–9) oder von Grundsteinbeigaben ab. Das Inventar von Siedlungen hat sich ebenfalls nur in Abhängigkeit von der geomorphologischen Lage vor Ort erhalten. Vollkommen anders dagegen sieht es mit den Inventaren der Gräber aus: Hier offenbart sich die Fülle dessen, was an materiellen Hinterlassenschaften des Alten Ägypten auf uns gekommen ist und gleichsam all das zu kompensieren scheint, was in den Tempeln und Siedlungen nicht mehr vorhanden ist. Denn abgesehen von den tatsächlich ausschließlich für die Grablegung und die Mumifizierung hergestellten Utensilien, wie den Balsamierungsmaterialien, den Särgen (Abb. 3, Kat.-Nr. 21) und Kanopen (Kat.-Nr. 26), den Uschebtis (Kat.-Nr. 28) und den Totenbüchern aus Papyrus (Kat.-Nr. 29), verweisen die meisten Grabbeigaben auf das Leben im Diesseits, und zwar Abb. 1 Hervé Champollion, Linkes Nilufer unterhalb von Esna (Oberägypten), 2006
12 als authentische Zeugnisse und Spiegel des kontemporären kulturellen Lebens (Kat.-Nr. 30 b, 31–34). Allerdings muss man sich der Einschränkung bewusst sein, dass der Großteil der Grabbeigaben fast ausschließlich die Lebenswelt der Eliten repräsentiert. Andererseits gewähren die Darstellungen von Handwerker- oder Landwirtschaftsszenen – sei es in Relief (Kat.-Nr. 14), Malerei oder anhand dreidimensionaler »Modelle« – sowie die literarische Auseinandersetzung mit anderen Gesellschaftsgruppen wichtige Einblicke in das Leben aller sozialen Schichten des Alten Ägypten. Die überreichen materiellen Hinterlassenschaften aus Gräbern, angefangen bei den königlichen Grablegungen in den Pyramiden oder den späteren Felsgräbern im Tal der Könige über Zeugnisse aus den monumentalen Friedhöfen der assoziierten Beamten, Priester und Militärs bis hin zu deren Diener- und Klientelbestattungen bzw. den wiederum bedeutenden Gräbern der herausragenden Handwerker und Künstler, haben unseren Eindruck einer vom Jenseitskult dominierten Kultur geprägt und dazu geführt, dass man vielleicht anhand der altägyptischen Kultur am besten darlegen und erläutern kann, was Jan Assmann in der treffenden und universellen Prämisse zusammengefasst hat: »Der Tod ist Ursprung und Mitte der Kultur.«2 Mit dieser These, deren Verifizierung ihm in seinemWerk Tod und Jenseits im Alten Ägypten äußerst überzeugend gelingt, wird dezidiert auf den Beginn der Menschheitsgeschichte und ihre frühesten kulturellen Zeugnisse verwiesen. Das Reflektieren eigener Sterblichkeit, das Bestatten der Angehörigen und das damit zusammenhängende Bedürfnis, den Kontakt zu den Ahnen zu erhalten und ein jenseitiges Leben anzunehmen sowie in den Gestirnen und Naturgewalten Numina und Götter walten zu sehen, – all dies umkreist den Kulturfaktor »Tod«. In kaum einer anderen Gesellschaft lässt sich dieser »Kulturmotor Tod« so vielfältig fassen wie in der altägyptischen und gleichzeitig darlegen, dass die Alten Ägypter keineswegs »todessehnsüchtig« waren, sondern vielmehr eingebettet in einen sinnstiftenden Götter- und Totenkult mit dem Tod in gewisser Weise versöhnt waren bzw. diesen mit ihren Jenseitsvorstellungen überwunden hatten. Die Faszination für das Alte Ägypten, die die Europäer im 17./18. Jahrhundert zunehmend Abb. 2 Totentempel von Pharao Ramses III. in Medinet Habu, Theben-West
13 ergriff und heutzutage global anhält, dürfte nicht nur mit der Bewunderung für das handwerkliche und künstlerische Schaffen und der ihm eigenen Ästhetik zusammenhängen, sondern berührt eben dieses Erahnen von dem »Versöhnt-Sein« mit dem physischen Tod. Hier schließt sich der Kreis zu den Dresdner Aegyptiaca, die in ihrer großen Mehrzahl dem Götter- und Totenkult zuzuschreiben sind und anhand derer sich die Grundlagen altägyptischer Jenseitsvorstellungen und theologischer Konzepte erläutern lassen. Die folgenden Abschnitte werden sich daher zunächst auf einige theologische Grundlagen und dann auf den Totenkult konzentrieren. Die gesellschaftspolitische Entwicklung und die historische Geschichte des Pharaonenreichs soll hier dagegen nicht näher erläutert werden, was durchaus den Sammlungsschwerpunkten der ägyptischen Altertümer in der Skulpturensammlung Dresden entspricht. Bemerkungen zur polytheistischen Götterwelt Ägyptens Die Religionen früher Kulturen zeichnen sich durchgehend dadurch aus, dass sie »gewachsen« und nicht gestiftet sind und dadurch vollkommen im Einklang mit den natürlichen Umweltbedingungen der jeweiligen Kulturregion standen bzw. primär durch diese bestimmt wurden. Die kosmischen Erscheinungen und astronomischen Beobachtungen der Gestirne, der Wechsel von Tag und Nacht, die unterschiedlichen Jahreszeiten, klimatisch bedingte Einflüsse auf die jeweilige Lebenswelt, Flora und Fauna und das von der Geburt bis zum Tod ständigen Gefahren ausgesetzte menschliche Leben haben die jeweils charakteristischen Ausformungen religiöser Vorstellungen und Handlungen früher Kulturen bestimmt. Dabei ist stets eine Vielzahl göttlicher Einwirkungsformen wahrgenommen worden, denen man mit kultischen Praktiken und jeweils eigenen religiösen Vorstellungen begegnete. Götter und Göttinnen, Dämonen und Geister wurden dabei meist mit Naturgewalten, Gestirnen sowie mit Tieren und Pflanzen und deren Eigenschaften assoziiert. Auch die religiösen Konzepte im Alten Ägypten entsprechen in ihren Ursprüngen diesen Vorgaben, haben sich aber im Lauf der Jahrtausende zu einem grandios verwobenen Abb. 3 Deckel eines Sargs, Spätzeit, Holz, Tonerde, Gipskreide, bemalt, H. 172 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. Aeg 784
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23 Das sächsische Barock und die Ägyptenfaszination des 18. Jahrhunderts1 Dirk Syndram Im frühen 18. Jahrhundert galt Ägypten nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich als sehr fernes, mythenbeladenes und gerade deshalb eigentümlich faszinierendes Land. Im Grünen Gewölbe findet sich das wohl eindrucksvollste Zeugnis der Rezeption altägyptischer Kunst im europäischen Barock: der Apis-Altar Johann Melchior Dinglingers (Abb. 1).2 In den Jahren, in denen dieses großformatige Juwelenkunstwerk entstand, ist ausgehend vom sächsisch-polnischen Hof ein ungewöhnlich starkes Interesse an der pharaonischen Kunst Ägyptens zu erkennen. Johann Melchior Dinglinger und das Alte Ägypten Das 195 Zentimeter hohe Kunstwerk lehnt sich zwar in Gestaltung und Aufbau an die Tradition wandgebundener christlicher Altäre an, es vereint allerdings in einer zuvor nie dagewesenen Fülle künstlerisch das damalige Wissen über die Götterwelt des Alten Ägypten. Das Kabinettstück, das 1738 in das mit prächtigen und kostbaren Kunstwerken bereits dicht gefüllte Juwelenzimmer der Augusteischen Schatzkammer im Grünen Gewölbe aufgenommen wurde, war das letzte Werk des am 6. März 1731 verstorbenen Hofjuweliers Johann Melchior Dinglinger. Der Apis-Altar wurde gleichsam zum persönlichen Vermächtnis des genialen Juwelenkünstlers, denn er entstand, wie die meisten seiner Kabinettstücke, ohne Auftraggeber. Dinglingers Auseinandersetzung mit den zeitfernen Mythen und Bildwelten Ägyptens war somit das Werk des dem Tode nahen 66-Jährigen, der darin die überzeitliche Weisheit einer dem Totenkult verpflichteten Kultur zu erfassen suchte. Der Apis-Altar zeugt noch heute von den hohen intellektuellen, künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten seines Schöpfers. Dafür steht auch die Beschriftung, die der Hofjuwelier auf dem Sockel des Obelisken anbringen ließ. Auf der linken Seite liest man: »QUAE ANTIQUA AEGYPTUS STUPIT / SUPERBA MOLIMINA / NOVA LUCE HOC OPERE SIST- / UNTUR COLLUSTRA / QOD / AD VETERUM MONUMENTO- / RUM FIDEM / NEC INDUSTRIAE PARCENS NEC / SUMPTIBUS« (frei übersetzt: Stolze Monumente, / die das Alte Ägypten bestaunte, / leben, von neuem Licht erhellt, / in diesemWerk fort, / das, / alten Denkmälern getreu / und ohne Fleiß und Kosten zu scheuen [entstand]). Auf der rechten Seite ergänzt dies die Inschrift »INVENIT STRUXIT ORNAVIT / POTENTISSIMI POLONIARUM / REGIS / FREDERICI AUGUSTI / PRIMUS OPERIS GEMMATI ARTI- / FEX / JOHANNES MELCHIOR DINGLING- / ER / DRESDAE / A D S MDCCXXXI« (Erdacht, errichtet und ausgeschmückt hat [es]/ des Großmächtigen Polenkönigs / Friedrich Augusts / Erster Juwelier, / Johann Melchior Dinglinger, / Dresden, / im Jahre des Heils 1731).3 Mit dessen anderen großen Werken der Schatzkunst teilt der Apis-Altar die Einzigartigkeit seiner Erscheinungsform, aber auch die Tatsache, dass er nicht im königlichen Auftrag, sondern zunächst aus dem Gestaltungswillen des Juwelenkünstlers und vor allem auf dessen eigenes finanzielles Risiko geschaffen wurde. Das Schaustück barocker Gelehrsamkeit, dessen Fertigung sicherlich mehr kostete als ein Stadtpalais in Dresden, erscheint in Verbindung mit dem Grünen Gewölbe am 1. März 1738 in einem Eintrag des Inspektors Johann Adam Schindler im Journal dieser Sammlung: »Den 1. Marty Ao: 1738 Haben S. Königl.: Mayt. Ein grosses Cabinet Stückh, von H: Dinglinger, die Ægyptischen opfer und abgötterey vor stellend in die geheime Verwahrung des grünen gewölbes gegeben, und befindet sich solches in den Jubellen Zimmer, auf den Tisch, wo sonst der Coffeé aufsatz gestanden.«4 Die dem Schatzkunstwerk zugrunde liegende Ikonographie ist erzählerisch durchaus konkret (Abb. 2). Im MittelAbb. 1 Apis-Altar in seiner heutigen Aufstellung im Neuen Grünen Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Grünes Gewölbe, Inv.-Nr. VIII 202
24 punkt der Bilderflut steht der Osiris-Mythos. Das mittlere Bild des Sockels zeigt Osiris, den ägyptischen Fruchtbarkeits- und Unterweltgott, auf der Totenbahre liegend. Eingefasst wird die eingravierte Darstellung von jeweils zwei ihm opfernden Priestern. Die darüber liegende tiefe Nische, die eine auf vergoldete Platten gravierte Hieroglyphenschrift hinterfängt, widmet sich der Überfahrt des Apisstiers, der irdischen Erscheinung des Gottes Osiris, auf einer Barke über den Nil. Die plastischen Figuren sind bemerkenswert, insbesondere die beiden mit zahllosen Diamanten bedeckten Krokodile, die die beiden Ufer des Nil symbolisieren. Der wohl von Christoph Hübner geschnittene großformatige Kameo aus Achat stellt die Verehrung des diesmal hundeköpfig dargestellten Göttervaters Osiris nach seinem Tod durch seine Gattin Isis und weitere Götter des ägyptischen Pantheons dar. Das darüber angebrachte runde Emailgemälde zeigt schließlich die verklärte Sphäre des göttlichen Paares Isis und Osiris sowie ihres Kindes Horus. Weitere kleinplastische Götter finden sich auf dem Gebälk zu Füßen des 75 Zentimeter hohen Obelisken. Dieser ist eine exakte, kleinformatige Wiedergabe des altägyptischen Monuments, das 1588 in Rom vor dem Lateran aufgerichtet worden war. Auf seiner Spitze erhebt sich ein goldemaillierter Ibis, das Symbol Thots, des Gottes der Weisheit und tiefsten Erkenntnis. Die dinglichen und graphischen Quellen des Apis-Altars Das Schatzkammerstück verbindet in singulärer Weise das im frühen 18. Jahrhundert in Europa vorhandene Wissen über Religion und Kunst des Alten Ägypten. Doch wie gelangte diese seit Jahrtausenden verschüttete, geographisch kaum erreichbare Gedanken- und Formenwelt vom Nil an die Elbe? Zum einen war es die persönliche Begegnung des Juwelenkünstlers mit altägyptischen Objekten – und die war Johann Melchior Dinglinger zum Zeitpunkt seiner schöpferischen Arbeit am Apis-Altar in Dresden besonders gut gegeben. Einige Aegyptiaca befanden sich bereits in der kursächsischen Kunstkammer und in der Hofapotheke, aber mit der zwischen 1723 und 1726 erfolgten Übertragung antiker Skulpturen aus der königlich-preußischen Kunstkammer in Berlin in den Besitz Augusts des Starken kamen auch Zeugnisse der pharaonischen Kunstepoche in die Dresdner Antikensammlung. Vor allem aber war es der spektakuläre Ankauf des Nachlasses des Fürsten Agostino Chigi mit 160 Skulpturen und der 34 Antiken aus der Sammlung des Kardinals Alessandro Albani, mit der die kurfürstlich-königliche Antikensammlung Augusts des Starken seit 1728 zu einer der frühesten und zugleich größten ihrer Art – und unter den altägyptischen Sammlungen – nördlich der Alpen wurde, denn mit den römischen Antiken gelangten auch zahlreiche Zeugnisse pharaonischer Kultur nach Dresden (vgl. den Beitrag von Loth in diesem Band). Der Architekt Baron Raymond Leplat, der langjährig als Kunstintendant und -einkäufer für August den Starken tätig war und auch die römischen Antikensammlungen nach Dresden vermittelte, publizierte diese 1733 in Folioformat in den Recueil des marbres antiques. Darin widmete er neun der großen Blätter Objekten, die er mit Ägypten in Verbindung brachte. Tatsächlich finden sich dort Motive, die Johann Melchior Dinglinger auch für sein Juwelenkunstwerk verwendete: der Apisstier, die für Europäer sehr fremdartigen Uschebtis, verschiedene Darstellungen der Sphinx sowie mehrere Idols Égyptien, wie der Gott Thot in Gestalt eines Pavians, Isis mit dem Horusknaben oder eine Statuette des Osiris.5 Nun erfolgte die Veröffentlichung der neuerworbenen Aegyptiaca 1733 und damit zwei Jahre nach demTod des Juwelenkünstlers. Auch finden sich auf den Kupferstichen nur sehr knappe und ungenaue Zuordnungen, sodass diese realen Objekte wohl nicht die inspiratorische Quelle für den von barockemWissen überquellenden Apis-Altar gewesen sein dürften. Seine Kenntnis über Kultur, Kunst und Religion der Ägypter erlangte Johann Melchior Dinglinger vielmehr durch eine bedeutende, für das 18. Jahrhundert kaum zu unterschätzende Quelle. Er war wohl der erste, der für sein Kunstschaffen auf die Bildtafeln und Deutungen des von Bernard de Montfaucon zwischen 1719 und 1724 in 15 großen Foliobänden veröffentlichten Stichwerks L’antiquité expliquée et représentée en figures zurückgriff. Das wissenschaftlich kommentierte und mit qualitativ hervorragenden Stichen versehene Werk des Benediktinerpaters entsprach der antiquarischen Gelehrsamkeit der beginnenden Aufklärung. Es umfasste neben zahlreichen Zeugnissen der Griechisch-Römischen Antike fast alle damals bekannten, als Abb. 2 Johann Melchior Dinglinger (Entwurf ); Dinglingerwerkstatt (Goldschmiedearbeiten); Christoph Hübner (Steinschnitt); Gottlieb Kirchner (Bildhauerei), unterer Teil des Apis-Altars, 1731, Kehlheimer Stein, Achat, Silber, vergoldet, Email, Edelsteine, Perlen, H. 195 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Grünes Gewölbe, Inv.-Nr. VIII 202
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39 Zur Geschichte der ägyptischen Bestände der Skulpturensammlung Marc Loth Die Skulpturensammlung Dresden besitzt mit rund 6000 Objekten eine beachtenswerte Kollektion ägyptischer Altertümer der Prädynastischen, pharaonischen und Griechisch-Römischen Zeit. Im Verhältnis zu ihrer Anzahl und Bedeutung haben diese Objekte bisher nur wenig Aufmerksamkeit erfahren – sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der Fachwissenschaft. Dies mag einerseits an dem überstrahlenden Glanz der anderen Dresdner Kunstschätze liegen. Nicht unwesentlich wird aber auch die über viele Jahrzehnte unzureichende oder fehlende Präsentation der Aegyptiaca dazu beigetragen haben, wofür als Ursache nicht zuletzt die Platzprobleme infolge des Zweiten Weltkriegs zu nennen sind. Dass die Sammlung keine institutionelle Unabhängigkeit erlangt hat, sondern integrativer Teil der Antiken- und später der Skulpturensammlung blieb, ist bei ihrer Größe verständlich und garantierte ihren Fortbestand. Sicher hätte in Dresden eine Etablierung der Ägyptologie als universitäre Disziplin der Sammlung auch vielfältige positive Impulse geben können. Da es dazu jedoch nie kam, waren es zumeist Ägyptologen aus Berlin und Leipzig, die die Skulpturensammlung Dresden in der wissenschaftlichen Betreuung und Präsentation der altägyptischen Bestände unterstützten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Dresden durchaus einige bekannte Ägyptologen hervorgebracht hat, wie Winfried Barta (1928–1992), Wolfgang Helck (1914–1993) oder Eberhard Otto (1913–1974). Im Folgenden soll die lange und wechselvolle Geschichte der pharaonischen Objekte der Skulpturensammlung als chronologischer Abriss der Erwerbungen, musealen Präsentationen und Publikationen präsentiert werden. Wann erstmalig altägyptische Fundstücke in die Sammlungen der sächsischen Kurfürsten gelangten, ist heute nicht mehr festzustellen. Schon im späten 17. Jahrhundert soll die kurfürstliche Hofapotheke neben altägyptischen Mumien, die seit dem Mittelalter als – sehr teure – Universalmedizin betrachtet wurden, auch weitere kleinformatige Funde besessen haben. Solche archäologischen Objekte sammelten Monarchen als historische Kuriositäten. Klar fassbar werden die Aegyptiaca im Jahr 1733 mit der Veröffentlichung eines Tafelbandes der Antikensammlung in Dresden (Abb. 2) durch Raymond Leplat (1664–1742). Leplat, Generalinspekteur der Königlichen Sächsischen Sammlungen, hatte zuvor viele dieser Objekte im Auftrag Augusts des Starken (1670–1733) in Rom angekauft. Am bedeutendsten waren hierbei die 1728 erworbenen Antiken aus den Sammlungen von Alessandro Albani und Flavio Chigi. Kurz zuvor (wohl um 1723/26) waren bereits Antiken aus dem Antikenkabinett der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer in Berlin nach Dresden gelangt, vermutlich als Geschenk von König Friedrich Wilhelm I. Unter den zahlreichen Antiken befanden sich auch einige altägyptische Objekte, die sicher nicht nur als zufällige Beigaben betrachtet wurden. Ein ernsthaftes, bisweilen wissenschaftliches, aber auch religiöses und esoterisches Interesse an pharaonischen Fundstücken kann u. a. durch die damals nicht seltenen Fälschungen solcher Gegenstände belegt werden. Bemerkenswert sind ebenso die Zeugnisse der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Hochkultur am Nil, deren prominentestes Beispiel in Dresden der 1724 bis 1731 gefertigte Apis-Altar von Johann Melchior Dinglinger (1664–1731) im Grünen Gewölbe darstellt (vgl. den Beitrag von Syndram in diesem Band). Die Anzahl der um 1730 in der Antikensammlung vorhandenen Aegyptiaca lässt sich nicht mehr exakt bestimmen, auch weil bei einigen später nachzuweisenden Stücken der Erwerbungszeitpunkt unbekannt ist und zudem die damaligen und heutigen Zuordnungen zur pharaonischen Kultur nicht immer übereinstimmen. Trotzdem lässt sich sagen, dass die Sammlung nach Umfang und Qualität eine der wichtigsten im deutschsprachigen Raum war. Abb. 1 David Brandt, Albertinum, Schaudepot, 2010
40 enkopf des Antinous (Inv.-Nr. Hm 23, Abb. 3), die Bronzestatuette eines Apis-Stieres (vgl. Kat.-Nr. 6 e), die beiden berühmten Porträtmumien (Kat.-Nr. 20), die Pietro della Valle (1586–1652) 1615 in Sakkara erwarb (Abb. 4), sowie zwei Kindermumien (Inv.-Nr. Aeg 779 und Verbleib unbekannt). Als modernes Werk ist eine Ptah-Sokar-Osiris-Statuette (Inv.-Nr. Aeg 761) anzusehen. Dies gilt ebenso für die beiden Sphingen aus der Brandenburgisch-Preußischen Kunstkammer (Inv.-Nr. H1 93/405, H1 93/406, Abb. 2) sowie eine Bleistatuette eventuell gleicher Herkunft, die Isis mit ihrem Kind Horus darstellt. Ein Sarg mit inzwischen verlorener Bemalung (Inv.-Nr. H4 134/40) wurde 1765 aus der Hofapotheke übernommen, Aus der pharaonischen Zeit stammen wahrscheinlich fünf Objekte: die Statuen eines Priesters aus der Zeit von Pharao Amenhotep III. (Kat.-Nr. 18, Abb. 2) und eines hockenden Pavians (Inv.-Nr. Aeg 760, Abb. 2), eine Statuette des Gottes Osiris (nicht mehr sicher zu identifizieren) und zwei Uschebtis (Inv.-Nr. Aeg 436, Aeg 429?). Die meisten kamen aus der Kunstkammer, befanden sich also schon länger in Dresden; die Pavian-Statue soll aus dem Besitz des Generalfeldmarschalls und Ministers Christoph August von Wackerbarth (1662– 1732) stammen. In die Griechisch-Römische Zeit datieren die ptolemäische Statue einer Königin oder Göttin (Kat.-Nr. 5), die drei Löwen- Statuen (Kat.-Nr. 12 sowie Inv.-Nr. Hm 17, Abb. 3), der StatuAbb. 2 Raymond Leplat, Recueil des marbres antiques qui se trouvent dans la Galerie du Roy de Pologne à Dresden, Tf. 189, Dresden 1733 Abb. 3 Wilhelm Gottlieb Becker, Augusteum. Dresden’s antike Denkmäler enthaltend, Bd. I, Tf. 4, Leipzig 1804
41 könnte somit also deutlich früher nach Dresden gelangt sein. Für einige kleinere, erst am Ende des 18. Jahrhunderts nachweisbare Objekte ist der Erwerbungszeitpunkt unklar. Ein Teil dieser Objekte lässt sich, wie erwähnt, in italienische Sammlungen zurückverfolgen. Ob sie jedoch erst in der Neuzeit Ägypten verließen – wie die Porträtmumien Pietro della Valles – oder bereits in der Antike als Kriegsbeute, Kunstimport oder Kultgegenstand nach Italien gelangten oder in Italien selbst gefertigt wurden, ist oft nicht mehr zur klären. Von 1729 bis 1747 war die Antikensammlung im Palais im Großen Garten in Dresden aufgestellt. Danach zog sie in die vier das Palais umgebenden Pavillons um, die bei Weitem keinen ausreichenden Platz für eine gute Betrachtung boten. Nur unterbrochen durch eine zeitweilige Unterbringung im Residenzschloss (1760–1763) während des Siebenjährigen Krieges blieb diese unbefriedigende Situation bis 1785 bestehen. Johann JoachimWinckelmann (1717–1768), der Begründer der Klassischen Archäologie, schrieb nach seinem Besuch der Antikensammlung in Dresden 1755 auch über die dortigen ägyptischen Objekte. 1785/86 bezog die Antikensammlung das Japanische Palais, das schon zuvor den Sächsischen Kurfürsten als Ausstellungsgebäude diente. Im Saal 10 waren dort fortan mindestens 17 als ägyptisch geltende Objekte zusammen mit Altertümern der Klassischen Antike und aus Mitteleuropa und Asien zu sehen (Abb. 5), während zwei der Löwen-Statuen am Eingang von Saal 2 standen. 1798 veröffentlichte der Numismatiker und Bibliothekar Johann Gottfried Lipsius (1754–1820) eine ausführliche Beschreibung der Antiken-Galerie. Wilhelm Gottlieb Becker (1753–1813), Inspektor der Antikengalerie und des Münzkabinetts, gab 1804 bis 1811 unter dem Titel Augusteum einen dreibändigen Katalog der Antikensammlung mit zahlreichen Tafeln heraus (Abb. 3). In dieser Zeit erlebte auch die Erforschung Ägyptens einen deutlichen Aufschwung. Der Feldzug Napoleon Bonapartes in das Land am Nil (1798–1801) scheiterte zwar militärisch, seine wissenschaftliche Begleitung leistete jedoch einen enormen Beitrag zur Dokumentation der pharaonischen Denkmäler (publiziert in der berühmten Description de l’Égypte, 23 Bände, 1809–1828). Zugleich lieferte er mit der Auffindung des Steins von Rosette (oder Rosetta) den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen 1822 durch Jean-François Champollion (1790– 1832) und somit zur Begründung der Ägyptologie als universitäre Disziplin (1830). Nicht zuletzt ermöglichte er die Etablierung einer neuen politischen Führung Ägyptens unter dem ehemaligen osmanischen Truppenkommandeur Muhammad Ali Pascha (um 1770– 1849). Dieser vertrieb die britischen Truppen, machte Ägypten de facto vom Osmanischen Reich unabhängig und unternahm große Anstrengungen zur Modernisierung des Landes. Dadurch konnten jetzt europäische Diplomaten und Experten leichter Ägypten bereisen und auch Antiken erwerben und Ausgrabungen vornehmen lassen. Die seit Jahrtausenden anhaltende Verwertung der pharaonischen Hinterlassenschaften wurde für die Ägypter noch lukrativer, da die Europäer für viele Funde von geringem Materialwert hohe Preise bezahlten oder Arbeitskräfte für Grabungen anstellten. Abb. 4 Pietro Della Valle, Eines vornehmen Roemischen Patritii Reiß- Beschreibung in unterschiedliche Theile der Welt [. . .], 198 Abb., Genf 1674
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53 1 Tempelreliefs mit Darstellungen des Sed-Festes Altes Reich, 5. Dynastie, Regierungszeit von Niuserre, um 2402–2374 v. Chr. Kalkstein, bemalt (a) H. 104,5, B. 50, T. 28,5 cm; (b) H. 54,5, B. 48,5, T. 14,5 cm; (c) H. 49, B. 60, T. 14,5 cm; (d) H. 88, B. 88, T. 20 cm; (e) H. 109, B. 79,5, T. 25 cm; (f ) H. 54,5, B. 32, T. 16 cm Fundort: Abu Gurob, Sonnenheiligtum des Königs Niuserre, 1899–1901 Grabung von Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing (a – c) 1912 und (d – f ) 1934 von demselben, München und Agg, geschenkt Skulpturensammlung, Inv.-Nr. (a) Aeg 742, (b) Aeg 743, (c) Aeg 744, (d) Aeg 745, (e) Aeg 746, (f ) Aeg 747 Die sechs Reliefs stammen aus dem Sonnenheiligtum des Königs Niuserre in Abu Gurob. Sie zeigen Szenen aus den sogenannten großen und kleinen Sed-Fest-Darstellungen. Das erste Relief (a) bildet den König in dem für das Sed-Fest charakteristischen Königsornat ab. Er trägt einen kurzen, meist über dem Knie endenden Mantel mit schulterangeschnittenem Ausschnitt, die Arme sind verhüllt. Den Kopf bedeckt üblicherweise die Weiße oder Rote Krone, die später den Landesteilen Ober- und Unterägypten zugeordnet wurden. In seinen Händen hält er die königlichen Zepter Wedel und Krummstab. Die anderen Reliefs (b – e) stellen Priester und Beamte des Königs dar, die ihn während des Fests, mitunter mit Musik (e), begleiten oder die königliche Sänfte bringen (d). Das Sonnenheiligtum des Niuserre wurde in Abu Gurob, zwischen Abusir und Giza, errichtet. Wie ein Pyramidenbezirk bestand die Anlage aus einem Taltempel im Niltal, dem Haupttempel auf dem terrassierten Hochplateau der Wüste und einem verbindenden Aufweg. Der Haupttempel ist von einer rechteckigen Umfassungsmauer eingegrenzt. In seinem offenen Hof befanden sich ein Opferaltar sowie auf einem etwa zwölf Meter hohen Sockel ein 20 bis 25 Meter hoher Obelisk, d. h. ein Pfeiler mit Pyramidenspitze. Ein überdachter Umgang auf der Süd- und Ostseite führte zum Eingang im Obeliskensockel. Die Wände des Umgangs zeigten die großen Sed-FestDarstellungen und im hinteren Bereich die berühmten Jahreszeitenreliefs, die heute zum Teil in Berlin zu sehen sind. Vor dem Sockeleingang befand sich eine kleine Kapelle mit den kleinen Sed-Fest-Darstellungen. Diese wird als Vestibül mit direktem Zugang zum Obeliskensockel aufgefasst. Die beiden verschieden langen Zugangswege boten also jeweils eine der Streckenlänge angepasste Version des Sed-Festes. Sonnenheiligtümer wurden ausschließlich in der 5. Dynastie erbaut. Sie dienten dem Kult für den Sonnengott Re, seine Frau Hathor und den jeweiligen königlichen Bauherrn zu Lebzeiten und danach. Das Sed-Fest ist als wichtigstes Königsfest von Frühdynastischer bis in die Ptolemäische Zeit belegt. Es diente der Erneuerung der königlichen Macht und wurde in der Regel nach 30 Regierungsjahren gefeiert, danach in kürzeren Abständen. Der genaue Ablauf eines Sed-Festes ist umstritten, da Textquellen hierzu fehlen. Ein verbreiteter Vorschlag lautet: 1. Gründungshandlungen, 2. Besichtigung der Bauarbeiten und Viehzählung, 3. Anfangsprozession, 4. Löwenmöbelfolge, 5. Huldigungsszenen, 6. Min-Folge und Upuaut-Folge mit Festlauf des Königs (Min und Upuaut sind Götter), 7. Viehvorführung und Zuweisung, 8. Fußwaschszene, 9. Bringen und Besteigen der Sänfte sowie 10. Sänftenprozession. Ein zentrales Element ist wohl der Sed-Fest-Lauf, ein Kultlauf, den der König mit der Weißen Krone auf dem Kopf und dem Wedel oder dem mekes in den Händen vollzieht, um seine gute körperliche Konstitution zu demonstrieren. Höchstwahrscheinlich wurde im Sonnenheiligtum des Niuserre kein reales Sed-Fest dargestellt oder gar gefeiert, denn für Niuserre sind keine 30 Regierungsjahre belegt. Außerdem sind im Gegensatz zu anderen Sed-Fest-Darstellungen die Protagonisten abgesehen vom König nicht namentlich bezeichnet. Die Reliefs spiegeln also eher den Wunsch des Königs nach ewiger Herrschaft wider. MG Bibliographie in Auswahl: (a) Bissing/Kees 1928: Bl. 12 Nr. 225; Kat. Dresden 1977: 31 f. Nr. 7; Kat. Leipzig 1989: Nr. 5; Kat. Dresden 1993: 10, 16 mit Abb.; (b) Bissing/Kees 1928: Bl. 7 Nr. 177; Kat. Dresden 1977: 31 Nr. 5; Kat. Leipzig 1989: Nr. 3 mit Abb.; Kat. Dresden 1993: 10, 16 mit Abb.; (c) Bissing/Kees 1928: Bl. 2 Nr. 116; Kat. Dresden 1977: 31 Nr. 3; Kat. Leipzig 1989: Nr. 1; Kat. Dresden 1993: 10; (d) Bissing/Kees 1923: Bl. 15 Nr. 38; Kat. Dresden 1977: 31 Nr. 2, Abb. 8; Kat. Dresden 1993: 10; (e) Bissing/Kees 1928: Bl. 3 Nr. 118; Kat. Dresden 1977: 4, Abb. 11; Kat. Leipzig 1989: Nr. 2; Kat. Dresden 1993: 10; (f ) Bissing/Kees 1928: Bl. 12 Nr. 221; Kat. Dresden 1977: 31 Nr. 6; Kat. Leipzig 1989: Nr. 4; Kat. Dresden 1993: 10 Literatur: Kaiser 1956; Kaiser 1971; Kat. München 2010; Nuzzolo 2018; Voß 2004
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67 5 Ptolemäische Königin und/oder Göttin? Frühe Ptolemäische Zeit, 332– um 150 v. Chr. Granodiorit H. 41, B. 19,5, T. 15,5 cm Vor 1733 in Rom erworben, angeblich aus der Sammlung Giovanni Pietro Bellori Skulpturensammlung, Inv.-Nr. Aeg 768 Dieses Statuenfragment besteht aus Granodiorit, der bei Assuan an der Südgrenze Ägyptens abgebaut wurde. Es zeigt den Körper einer Frau vom Bereich unter dem Bauchnabel bis zum unteren Drittel der Unterschenkel. Das in Schrittstellung vorn befindliche linke Bein ist geradezu ein Erkennungsmerkmal altägyptischer Kunst. Beide Arme sind nach unten ausgestreckt und liegen eng am Körper an. Die Hände halten jeweils ein anch-Zeichen, die Hieroglyphe für »Leben«. Meist tragen dieses die Götter und überreichen es an den Pharao (Kat.-Nr. 11) oder auch an andere Menschen. Typisch ägyptisch ist auch der rückseitig stehengelassene Steg, der Rückenpfeiler. Auch zwischen den Beinen gibt es einen Steg, der hier aber auch für das Kleid stehen kann, denn der Körper ist nicht nackt. Neben der verlorenen Basis ist insbesondere der Rückenpfeiler der Ort, an dem man eine Inschrift erwarten könnte, welche die Gottheit oder die Person nennt, der die Statue gehört. Der Rückenpfeiler dieses Objekts trägt jedoch keine im Relief ausgeführten Hieroglyphen. Einige Einritzungen in seinem obersten Bereich gehören wohl zu einer antiken oder neuzeitlichen Pseudo-Hieroglyphen- Inschrift. Die aufwendige Glättung der Oberfläche des Hartgesteins und der Stil der Statue sind Grundlage der Datierung in die Ptolemäische Zeit. Sabine Albersmeier weist sie aufgrund von Vergleichsstücken der Königin Arsinoë II. zu. Auch andere Statuen dieser Herrscherin bestehen aus Granodiorit und tragen das eng anliegende Gewand und das anch-Zeichen. Es ist aber weder mit Sicherheit festzustellen, ob die Statue noch zu ihren Lebzeiten oder später gefertigt wurde, noch kann wegen des fragmentarischen Zustands ausgeschlossen werden, dass es sich um die Statue einer Göttin handelt. Arsinoë II. gehört in die Familie der Ptolemäer, die Dynastie griechischsprachiger Pharaonen. Der Makedone Alexander der Große hatte das Perserreich erobert und damit auch die Kontrolle über Ägypten erlangt. Nach seinemTod 323 v. Chr. übernahm sein General Ptolemaios die Herrschaft über Ägypten. Dessen Tochter Arsinoë II. heiratete 279 v. Chr. in dritter Ehe ihren Bruder, den König und Pharao Ptolemaios II. Wohl schon vor ihremTod um 270 v. Chr. wurde sie kultisch verehrt, wozu auch die Aufstellung von Statuen in den Tempeln Ägyptens gehörte. Im frühen 18. Jahrhundert gelangte die hier besprochene Statue nach Dresden. Sie war zu diesem Zeitpunkt zu einer vollständigen Skulptur ergänzt und auf dem Rückenpfeiler mit Hieroglyphen beschriftet (Abb. 1). Diese als antik wahrgenomAbb. 1 Wilhelm Gottlieb Becker, Augusteum. Dresden’s antike Denkmäler enthaltend, Bd. I, Tf. 3, Leipzig 1804
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87 12 Statuen liegender Löwen 1. Jh. n. Chr. Granodiorit oder/und Granit (a) H. 69, B. 48,5, L. 134 cm; (b) H. 68,5, B. 45, L. 132 cm (a) Fundort: 1644/55 Rom, Vigna Cornovaglia 1728 aus der Sammlung Flavio Chigi, Rom, angekauft; (b) um 1530 Sammlung Paolo Emilio Cesi, Rom 1728 von Alessandro Albani, Rom, geschenkt Skulpturensammlung, Inv.-Nr. (a) Hm 16, (b) Hm 18 Die beiden Statuen gehören zu einer Gruppe von drei gleichartigen Löwenfiguren aus Rom (Inv.-Nr. Hm 16–18). Ihr ägyptischer Charakter wurde schon früh erkannt. Bei dem Material scheint es sich um Granodiorit mit Adern und Einsprengseln von Rosengranit zu handeln, wie er in Assuan vorkommt. Die Körperhaltung und der symmetrische Aufbau sind von altägyptischen Löwenstatuen bekannt. Noch eindeutiger sind die Gestaltung des Kopfes und die schematisierte Wiedergabe der Haare an den Ohren und der Mähne. Die Gesichtsmähne umrahmt das Haupt in einer Reihe von Zotten, während die Halsmähne wie eine Decke auf Brust und Hals aufliegt und sichelartig die Schultern umfasst, wie es bei Sphingen üblich ist (Kat.-Nr. 3 b, 11 c). Typisch ist auch das Aufliegen des Schwanzes auf dem rechten Schenkel. Der Stil der Löwen greift Merkmale des Neuen Reichs wieder auf, die Gestaltung ist aber deutlich vereinfacht, beispielsweise durch Verzicht auf Angabe der Rippen. Daraus wird eine Datierung in das 1. Jahrhundert n. Chr. abgeleitet. Nicht sicher zu klären ist, ob die Löwen bereits in Ägypten oder erst in Rom gefertigt wurden. Im letztgenannten Fall hätten als Vorlage die beiden ptolemäischen Löwenstatuen dienen können, die heute an der Treppe zum Kapitol stehen. Für den ursprünglichen Aufstellungsort der Statuen fehlen sichere Anhaltspunkte. In Ägypten war eine Positionierung im Eingangsbereich von Tempelanlagen üblich. Der Löwe galt als Bild des Pharao, (göttlicher) Wächter und Sonnen- und Horizonttier. Für Rom wurde an eine ähnliche Verwendung gedacht, denn auch dort gab es ja Tempel ägyptischer Götter. Am bedeutendsten war der für Isis auf dem Marsfeld (Iseum Campense), von dem zahlreiche der in Rom entdeckten altägyptischen Statuen stammen. Der Löwe (a) wurde um 1644/55 amWestabhang des Monte Celio gefunden, wo einst der Tempel des vergöttlichten Kaisers Claudius (Claudianum) stand. Die andere (b) und eine weitere Statue sind erstmals um 1530 im Garten der Villa von Paolo Emilio Cesi nachweisbar, die unweit vom Circus des Claudius lag. Eine Herkunft aus den genannten antiken Anlagen bleibt aber reine Vermutung. Der Löwe (a) gelangte bald nach seiner Entdeckung in die Sammlung Chigi und wurde aus dieser 1728 für Dresden angekauft. Die beiden Löwen aus der Villa Cesi kamen über die Sammlung Ludovisi schließlich in die Sammlung Albani und wurden den dort 1728 gekauften Antiken als Geschenk hinzugefügt. Die antike Wächterfunktion der Löwen wurde an ihren verschiedenen Aufstellungsorten in Dresden oft fortgesetzt und wird auch in Zukunft erkennbar bleiben. In der Neuzeit haben Bildhauer für ihre Löwenskulpturen gern pharaonische Exemplare als Vorlage benutzt. Dies lässt sich auch für die Dresdner Löwen belegen. Je ein Paar aus Stein und Ton bewachten die Treppe zur Brühlschen Terrasse (jetzt im Großen Garten) und den Eingang zum Großen Garten (Gottlob Christian Kühn 1814). Eugen Kircheisen schuf zwei ursprünglich geflügelte Gusseisenlöwen für Kunstakademie und Ausstellungsgebäude (1887–1894) an der Brühlschen Terrasse. Bereits 1801 wurden Abgüsse der Dresdner Löwen gefertigt, die für die Fertigung der Ofenaufsätze im Festsaal des Weimarer Stadtschlosses benutzt wurden. Und auch den Leipziger Löwenbrunnen (Johann Gottfried Schadow um 1820) zieren zwei Bronzelöwen nach den Dresdner Vorbildern. ML Bibliographie in Auswahl: (a) Leplat 1733: Tf. 188 oben; Kat. Dresden 1977: 37 Nr. 34, Abb. 84, 85; Borbein u. a. 2006: 63 f. Nr. 85 mit Abb.; Kat. Dresden 2011: Bd. 1, 116 Tf. 16, Bd. 2, 1048–1050 Nr. 253, 1052–1054, 1056; Kat. Dresden 2020 b: 90, 91 Abb.; (b) Leplat 1733: Tf. 188 unten (?); Kat. Dresden 1977: 37 Nr. 36; Borbein u. a. 2006: 63 f. Nr. 85 mit Abb.; Kat. Dresden 2011: Bd. 2, 1052–1056 Nr. 255; Kat. Dresden 2020 b: 90 mit Abb. Literatur: Bothe 2000; Müller 1965; Rother 1994; Zschoche 1988
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91 13 Zylindergefäße mit den Namen von Pepi I. und Pepi II. Altes Reich, 6. Dynastie, (a) Regierungszeit von Pepi I., um 2276–2228 v. Chr.; (b) Regierungszeit von Pepi II., um 2216–2153 v. Chr. Travertin (a) H. 14,8, Dm. 11,7 cm; (b) H. 19,5, Dm. 11,2 cm 1910 von Ernst von Sieglin, Stuttgart, geschenkt Skulpturensammlung, Inv.-Nr. (a) ZV 2600 E 002, (b) ZV 2600 E 001 Die beiden hohen, zylinderförmigen Gefäße aus Travertin sind mit den Namen der Pharaonen Pepi I. (a) und Pepi II. (b) beschriftet. Das erste Gefäß (a) ist elegant geschwungen, mit einem weit auskragenden Gefäßrand gearbeitet und mit drei senkrechten und einer waagerechten Inschriftenzeile versehen. Sie enthalten zwei der fünf Königsnamen. Zuerst erscheint auf der rechten Seite der Titel »König von Ober- und Unterägypten«, ihm folgt im Oval (Kartusche) der sogenannte Thronname »Geliebter des Re«. Mittig wurde der Horusname angebracht »Geliebter der Beiden Länder«. Der Horusname zeigt den Himmelsgott Horus als Falken auf einem Palast, der die Namenshieroglyphen enthält, und verbindet damit den König mit diesem Gott (Kat.-Nr. 11 d). Auf der linken Seite steht »Erstes Sed-Fest«. Darunter liest man waagerecht zweimal »Dem Leben gegeben sein möge, ewiglich«, und zwar in spiegelgleicher Anordnung. Die in der Mitte nur einmal vorhandene Hieroglyphe für »geben« ist bei jeder der beiden Inschriften mitzulesen. Die Inschrift wird eingefasst von zwei seitlichen was-Zeptern, die vermutlich für Herrschaft stehen und auf denen oben die Himmelshieroglyphe ruht, sowie von einer unten abschließenden Linie, der sogenannten Standlinie. Die in den Stein geritzte Inschrift zeigt noch Reste der ursprünglichen blauen Farbe, mit der der Text hervorgehoben werden sollte. Das zweite Gefäß (b) trägt zwei senkrechte Inschriftenzeilen: Auf der linken Seite steht nach dem Titel »König von Ober- und Unterägypten« in der Kartusche der Thronname Nefer-ka-Re »Mit vollkommener Ka(-Seele), ein (Sonnengott) Re« sowie »der leben möge ewiglich«. Gegenüber ist der Horusname eingeritzt: »Mit göttlichen Erscheinungen«. Der untere Teil dieser Inschrift ist verloren. Auch hier ist die Inschrift von zwei was-Zeptern, der Himmelshieroglyphe und der Standlinie eingerahmt. Beide Gefäße sind mehrfach zerbrochen und wurden restauriert. Sie enthielten wahrscheinlich kostbare Öle, die während des Sed-Festes verwendet wurden. Die Herkunft der Gefäße ist leider unklar. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie aus den jeweiligen Totentempeln der Könige in Sakkara stammen. Bei Ausgrabungen im Totentempel von Pepi II. traten neben Gefäßen dieses Königs auch welche von Pepi I. mit Nennung des Sed-Festes auf. Zylinderförmige Gefäße sind in Ägypten bereits seit Vor- und Frühdynastischer Zeit in Ton und unterschiedlichen Gesteinsarten belegt. Die hier auftretende Form wurde aber erst seit der 5. Dynastie benutzt. Travertin war im Alten Ägypten ein äußerst beliebter Stein für die Gefäßherstellung. Er lässt sich leicht bearbeiten und dabei sehr dünnwandig ausformen, wobei die Steinäderung als dekoratives Element ästhetisch hervortritt (Kat.-Nr. 32 c, 33 c). Bei dem Sed-Fest handelt es sich um ein Königsfest, das der Pharao zum ersten Mal nach 30 Jahren Regierungszeit feierte. In den folgenden Jahren waren die Abstände zum Begehen des Festes kürzer. Auch wurden nicht immer die 30 Jahre eingehalten, d. h. das Fest konnte auch früher begangen werden. Es diente der Erneuerung der königlichen Macht und der Regeneration der physischen Kräfte des Pharao (Kat.-Nr. 1). MG Bibliographie in Auswahl: (a) Pagenstecher 1913: 174, Tf. 2 Nr. 5; Kat. Dresden 1977: 55 Nr. 187, Abb. 23; Kat. Leipzig 1989: Nr. 116 mit Abb.; (b) Pagenstecher 1913: 175, Tf. 2 Nr. 14; Kat. Dresden 1977: 55 Nr. 188, Abb. 22; Kat. Leipzig 1989: Nr. 117 mit Abb. Literatur: Arnold/Pischikova 1999; Von Beckerath 1999
115 20 Mumien eines Mannes und einer Frau mit Mumienporträt und Leichentuch Späte Römische Zeit, spätes 3. bis Mitte 4. Jh. n. Chr. Leinen, Stuck, bemalt und vergoldet, mumifizierter Leichnam (a) H. 175, B. 40, T. 29,5 cm; (b) H. 164, B. 37,5, T. 29 cm Fundort: Sakkara, 1615 von Pietro della Valle gefunden 1728 aus dem Nachlass von Filippo Antonio Gualtieri, Rom, angekauft Skulpturensammlung, Inv.-Nr. (a) Aeg 777, (b) Aeg 778 Die beiden berühmten Mumien mit den Porträts eines Mannes und einer Frau stammen aus der späten Römischen Zeit. Sie wurden 1615 vom italienischen Forschungsreisenden Pietro della Valle aus Sakkara mitgebracht und sind damit die wohl frühesten in Europa nachzuweisenden altägyptischen Mumien. Während die Leinenbandagen und das aufwendig dekorierte und mit Blattgold belegte Leichentuch des Mannes sehr gut erhalten sind, ist das Tuch der weiblichen Mumie stark beschädigt. Oben bilden die Leichentücher die Verstorbenen in der Tracht der Lebenden ab. Beide tragen ein goldenes Diadem auf dem Kopf sowie einen Chiton, das griechische Untergewand mit Textilstreifen, den sogenannten Clavi. An den Clavi der Frau ist beidseitig ein breites Schmuckband befestigt. Dieses ist besetzt mit großen blauen und roten Steinen in Goldeinfassung. Darunter befindet sich der Kopf der Medusa, der an dieser Stelle als magisches Schutzsymbol fungiert. Die Brust des Mannes umschließt schützend die ägyptische Geiergöttin Nechbet. Die Verstorbenen tragen in der rechten Hand ein griechisches Spendegefäß: er einen Kantharos mit Wein, und sie die einhenkelige Lekythos für Öl. Die linken Hände halten vermutlich den »Kranz der Rechtfertigung«, ein Totenkranz, der die glücklich überstandene Prüfung des Totengerichts und den Übergang ins Totenreich anzeigt. Während der Mann Fingerringe trägt, ist die Frau mit aufwendig gestaltetem, buntem Hals- und Brustschmuck sowie Arm- und Fußbändern und Fingerringen versehen. Die griechische Inschrift unter dem rechten Arm des Mannes lautet »ΕΥΨΥΧΙ« (Eupsychi), d. h. »Lebe wohl!« Auf der unteren Körperhälfte sind die Gewänder beider Personen großflächig von einem aufgemalten Perlennetz bedeckt (Kat.-Nr. 24). Die Bildelemente darin haben mythologischen und dekorativen Charakter und lassen sich ebenso auf altägyptische als auch griechisch-römische Traditionen zurückführen. Interessant ist ein kleines, metallenes Siegel an der linken Seite der männlichen Mumie, welches das Zeichen der Mumifizierungswerkstatt trägt. Derartige Siegel können auch aus ungebranntem Nilschlamm oder Wachs bestehen. MG Die Schädel und die unteren Extremitäten der beiden gestreckt auf dem Rücken liegenden Mumien sind gut erhalten, jedoch wurden viele Knochen der Rumpfskelette und der Arme nach dem Tod in ihrer anatomischen Lage gestört (Abb. 3 a – b). Zahlreiche Knochen wurden postmortal, wohl im Zuge von Ausgrabung oder Transport gebrochen, bei der männlichen Mumie vermutlich auch nach der Öffnung der textilen Umhüllung vor Ort in Ägypten. Von beiden Mumien sind nur sehr wenige Organreste erhalten. Die schlechte Körpererhaltung machte sichere Aussagen zur genauen Technik der künstlichen Mumifizierung unmöglich. Radiologische Hinweise auf eine Gehirnentnahme über die Nase fanden sich nicht. Bei den unterschiedlich röntgendichten Materialien in den Schädeln handelt es sich um Knochenteile und vermutlich Sedimentanreicherungen. Im Oberkörper des Mannes fand sich ein Gemenge aus Knochen, Sedimenten und wohl Pflanzenresten (Abb. 1). Mit der gebotenen Vorsicht angesichts der schlechten Körpererhaltung wird vermutet, dass den Körpern mithilfe von Natronsalz Wasser entzogen wurde, wie dies im Alten Ägypten üblich war. Gehirn und Organe wurden eher nicht entnommen, worauf auch die Vergleichsanalyse mit einer dritten Mumie des gleichen Mumientyps aus Sakkara hindeutet. Eine Verwendung röntgendichter harziger Balsamierungssubstanzen ließ sich nicht nachweisen. Die beiden metalldichten Objekte im Inneren der männlichen Mumie wurden radiologisch als Siegel der Balsamierer aus der Mumifizierungswerkstatt identifiziert. Sie waren ursprünglich vermutlich auf der äußeren Textillage befestigt
116 Bibliographie in Auswahl: Della Valle 1674: 104–108; Leplat 1733: Tf. 197; Kat. Dresden 1977: 39 Nr. 39 und 40, Abb. 95 und 96; Cantone 2013: 109, 117 Abb. 2 (zu Inv.-Nr. Aeg 777); Kat. Dresden 2020 a: 97–99 mit Abb.; Müller 2020; Zesch u. a. 2020 Literatur: Bierbrier 1997; Borg 1998; Corcoran 1995; Doxiadis 1995; Kat. Frankfurt 1999 worden und wurden wohl während der Öffnung der Textilhülle bei der Entdeckung in Ägypten ins Mumieninnere verlagert. Bei den beiden metalldichten Objekten nahe des rechten Oberschenkels der weiblichen Mumie handelt es sich um Münzen oder Medaillons, die am ehesten als Beigabe in die Hände der Verstorbenen gelegt worden waren, und später leicht verrutscht sind. Im Rumpf der Frau verteilen sich außerdem zahlreiche, etwa einen Zentimeter große, kreisrunde, durchlochte Objekte aus organischem Material, vermutlich Perlen einer Kette (Abb. 2). Beide Mumien wurden vor der Textilumhüllung auf ein Brett gelegt. Das Mumienbrett des Mannes ist heute mehrfach zerbrochen (Abb. 4 a – b). Der Zahnstatus und andere Merkmale an den Skeletten legen nahe, dass der Mann 25 bis 30 und die Frau 30 bis 40 Jahre alt gewesen sind. Der Mann war etwa 163 Zentimeter und die Frau rund 150 Zentimeter groß. Zwei fehlangelegte Eckzähne des Mannes waren nicht in die Mundhöhle durchgebrochen (Abb. 5). Mehrere Zähne hatten Karies, ein Backenzahn sogar einen Wurzelabszess. Das linke Kniegelenk der Frau war vermutlich von einer ausgeprägten Arthritis betroffen (Abb. 6). Die linke Beckenhälfte steht höher als die rechte, möglicherweise infolge einer Schonhaltung zur Entlastung des vermutlich von Arthritis betroffenen Kniegelenks. SZ · SP · AZ · WR
Abb. 1 Multiplanare CT-Rekonstruktion in coronaler Oberkörperansicht der Mumie des Mannes, im stark beschädigten Oberkörper zeichnet sich das zweite von außen nach innen verlagerte Siegel der Balsamierer ab Abb. 2 3D Volume-Rendering-Rekonstruktion in seitlicher Oberkörperansicht der Mumie der Frau, zahlreiche kreisrunde Objekte aus organischem Material sind vermutlich Perlen einer Kette Abb. 3 a Multiplanare CT-Rekonstruktion in coronaler Ganzkörperansicht der Mumie des Mannes, bei den beiden metalldichten Objekten handelt es sich um ein auf der äußersten Textillage befestigtes Siegel der Balsamierer aus der Mumifizierungswerkstatt sowie eines der beiden ins Mumieninnere verlagerten Siegel Abb. 4 a Multiplanare CT-Rekonstruktion in sagittaler Ganzkörperansicht der Mumie des Mannes, unter dem stark skelettierten Körper zeichnen sich die Teile eines gebrochenen Mumienbrettes ab
Abb. 5 3D Volume-Rendering-Rekonstruktion in frontaler Schädelansicht der Mumie des Mannes, zwei Eckzähne waren zu Lebzeiten nicht in die Mundhöhle durchgebrochen Abb. 6 Multiplanare CT-Rekonstruktion in sagittaler Knieansicht der Mumie der Frau, paläoradiologische Veränderungen im linken Kniegelenk deuten auf eine ausgeprägte Arthritis hin Abb. 3 b Multiplanare CT-Rekonstruktion in coronaler Ganzkörperansicht der Mumie der Frau, bei den beiden metalldichten Objekten nahe des rechten Oberschenkels handelt es sich um Münzen oder Medaillons Abb. 4 b Multiplanare CT-Rekonstruktion in sagittaler Ganzkörperansicht der Mumie der Frau, unter dem stark abgeflachten Körper liegt ein intaktes Mumienbrett
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