19 wird das deutsche Engagement meiner Erfahrung nach im Irak nicht zu einem Erfolg führen, denn man versucht, das falsche Problem zu lösen. Auch der Einsatz unserer internationalen Partner, der sich auf militärische Kräfte in Form von Spezialkräften, Luftkriegsmittel und Feuerunterstützung konzentriert, ohne die Dynamik der irakischen Gesellschaft zu beachten, scheint mir wenig erfolgversprechend. Afghanistan wiederholt sich. Diese Erfahrungen bilden für mich einen Widerspruch zu meinem Selbstverständnis als Offizier und Fallschirmjäger. Ich bin nicht der Einzige, der das so sieht. Kamerad:innen, auch solche ohne Migrationshintergrund, teilen diese Sicht. Wir sind, wie gesagt, eine lösungsorientierte Truppengattung. Deswegen fällt es uns schwer, unsere Ausbildung und unser Selbstverständnis auf der einen und die Ergebnisse der Auslandseinsätze auf der anderen Seite miteinander zu vereinbaren. Und ich muss fragen: Haben wir in der Bundeswehr die nötige Ausbildung und auch das nötige interkulturelle Verständnis, um solche Einsätze zu bestreiten? Der Aufbau der Auslandseinsätze erweckt bei mir den Eindruck, dass die Gesellschaftsordnungen der Länder, in denen die Einsätze stattfinden, keinen Einfluss auf die Operationsführung haben. Auffällig finde ich, dass es in der Bundeswehr noch immer sehr wenige Kamerad:innen mit Migrationshintergrund, vor allem als Offizier:innen und auf entscheidenden Dienstposten, gibt. Zumeist beschränkt man sich darauf, diese Menschen für den Sofortbedarf als Übersetzer:innen anzuwerben. Dadurch lässt sich aber ihr besonderer Hintergrund nur eingeschränkt nutzen. Ihre interkulturelle Kompetenz kann so aktuell keinen Eingang in die Bundeswehr finden, interkulturelle Kompetenz ist nicht breit gestreut oder institutionell verankert, sondern auf einige wenige Personen beschränkt. Ich denke, dass das Fehlen dieser Kompetenz großen Einfluss darauf hat, dass unsere Einsätze sehr ähnlich aufgebaut sind, sich meistens auf die Ausbildung von Soldat:innen auf der untersten taktischen Ebene beschränken sowie die gesellschaftlichen Dynamiken und politischen Realitäten der Einsatzländer in der Praxis weitestgehend ignorieren. Ich frage mich, wie es sein kann, dass wir das enorme Potenzial unserer Einwanderungsgesellschaft nicht nutzen bzw. dieses Potenzial nicht für die Bundeswehr anwerben können. Mit meinem eigenen Hintergrund, aber auch mit meinen Erfahrungen im Einsatz sehe ich darin ein Problem, das uns auch in Zukunft begegnen wird. Denn so sehr wir uns auf LV/BV (Landesverteidigung/Bündnisverteidigung) konzentrieren wollen – Einsätze in Ländern mit Kulturen, die uns völlig fremd sind, werden uns in Zukunft weiterhin begleiten. Teile des MTT Leadership, Camp Taji 2019 1 Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2015 am Kampf gegen den sog. Islamischen Staat (Counter Daesh) und an der Ausbildung der irakischen Streitkräfte (Capacity Building). Der Einsatz erfolgt zwar innerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit, rechtlich ist dieser aber nicht Teil einer internationalen Mission, sondern bilateral zwischen der deutschen und irakischen Regierung abgestimmt. 2 Deutsche Kräfte sind aufgrund einer bilateralen Vereinbarung mit der irakischen Regierung im Einsatz, d. h. nicht gebunden an Weisungen und Vorgaben der multinationalen US-geführten Combined Joint Task Force – Operation Inherent Resolve (CJTF-OIR). Sie haben sich aber während meiner Zeit im Irak an die Vorgaben von CJTF bezüglich Ausbildungsinhalten gehalten. Das CJTF-Hauptquartier in Kuwait sah keinen Bedarf für eine Anpassung der Ausbildung.
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