58 eine »unendliche Epoche«, die sich von immer neuer Vergangenheit abgrenzt und insofern »die permanente Definition ihrer Vorzeit« betreibt.3 Das heißt, dass »eineModerne, die sich selbst für beendbar oder wiederholbar hält, ihren eigenen Charakter nicht verstanden hat«.4 Folgt man Grasskamp, wäre Buergels Satz also Zeugnis eines solchen Sichselbst-nicht-Verstehens. Allerdings liefert Grasskamp auch Überlegungen, die jenen Satz doch sinnvoll und sogar besonders aussagekräftig erscheinen lassen. So hebt er hervor, dass sich der Wunsch einer Distanzierung von der Vergangenheit in den künstlerischen Avantgarden des Westens zu der Ambition steigerte, idealerweise sogar bereits die Zukunft vorwegnehmen zu können. Damit aber fanden die Fluchten vor vermeintlich Veraltetemmit umso größerer Geschwindigkeit statt, und etwas, das gerade noch als antizipierte Zukunft proklamiert worden war, wurde im nächsten Moment schon als überholt abgestempelt. Eine derart »verschleißintensive Moderne« war inhaltlich weniger definierbar denn je; zugleich führte die avantgardistische Dynamik aber zu einer »Verschleuderung ästhetischer Energien« – und so dazu, dass Programme, Stile, Lebensentwürfe verabschiedet wurden, lange bevor »deren Potentiale wirklich genutzt und zu Ende diskutiert« worden waren.5 Die in diesem engeren Sinn von Avantgarde begriffene Moderne hinterließ somit viele »unabgerufene Potentiale«, und mit ein wenig Pathos könnte man sie deshalb auch als unerlöst oder untot bezeichnen. Damit aber liest sich der Satz »Die Moderne ist unsere Antike« auf einmal mit einer düstereren Tönung. Er besagt dann, dass die Moderne nicht deshalb nach wie vor unüberholbar präsent ist, weil sie ein strahlendes Vorbild, ein nahezu überzeitlicher Maßstab ist, sondern weil vieles in ihr unaufgearbeitet ist. Sie ist zum Wiedergänger geworden und lebt gar als spukender Geist, als Obsession in denWerken heutiger Künstler fort. Und vielleicht erlebt sie sogar nur deshalb Renaissancen. Was aber lässt sich wahrnehmen, wenn man mit Buergel und Grasskamp auf Œuvres von Künstlern wie Ben Willikens blickt, die sich ausdrücklich auf die Moderne rückbeziehen? Eine große Serie vonGemälden, dieWillikens 1999 begonnen hat, heißt Räume der Moderne. In ihr widmet er sich etwa demProunenraum (Abb. S. 59), den El Lissitzky Moderne im zweiten Anlauf
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1