Leseprobe

194 Die Herkunft der Museumssammlung ist das Thema der Provenienzforschung. Problematisch sind dabei vor allem die Sammlungszugänge zwischen 1933 und 1945. Hier muss geklärt werden, ob es sich um Objekte aus NS-verfolgungsbedingten Erwerbszusammenhängen handelt. Aufgerufen durch die Beschlüsse der Washingtoner Konferenz 1998 entschloss sich das MHG 2010, der darin ausgesprochenen Selbstverpflichtung nachzukommen und seine Sammlung untersuchen zu lassen. Bei Vorrecherchen wurde klar, dass das MHG durch das Agieren des Kustos und ab 1939 stellvertretenden Museumsdirektors Carl Schellenberg besonders belastet war (siehe auch den Beitrag von Gunnar B. Zimmermann, S. 96–100). Gegenstand der Untersuchung waren daher die Ankaufspolitik Schellenbergs und die Silber- und Gemäldezugänge zwischen 1933 und 1945. Denn nicht nur die Recherche zu einzelnen Objekten ist Gegenstand der Provenienzforschung, sondern auch strukturelle Forschung zu den Beraubungsvorgängen selbst. Museumsarbeit in finsterer Zeit Der seit 1926 amMHG tätige Kunsthistoriker Schellenberg konnte sich 1940 mittels einer Sonderaufgabe für seine Heimatstadt Hamburg vom aktiven Kriegsdienst befreien lassen. Der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann beauftragte ihn, das im Rahmen des Zwangsverkaufs abgegebene Silber der als Juden verfolgten Hamburger zu sichten. Schellenbergs Aufgabe bestand darin, kulturhistorisch wertvolle und behaltenswerte Stücke auszuwählen. Diese Auswahl sollte dann von der Stadt Hamburg dem Deutschen Reich abgekauft werden, das der Nutznießer der Zwangsabgabe war. Da das Edelmetall den Eigentümern nur gegen geringe, am Edelmetallwert orientierte Bezahlung abgekauft worden war, versprachen sich die Vertreter der Stadt für ihre Auswahl einen günstigen Preis. Schellenberg nutzte die Gelegenheit der Sachwaltung, eine große Menge des Silbers für Hamburg zurückzubehalten. So blieben von rund 20 Tonnen abgegebenem Silber ca. zwei Tonnen in Hamburg. Eine schriftlich fixierte Mengenaufteilung auf die verschiedenen öffentlichen Sammlungen der Stadt wurde vermutlich für das MHG, das Museum für Kunst und Gewerbe, das Altonaer Museum und das Rathaus umgesetzt. Der für das MHG bestimmte Teil wurde allerdings wohl bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht inventarisiert, ist also vermutlich niemals formalrechtlich in das Eigentum des Museums übergegangen. Es wurde aber bereits 1940 eine fotografische Dokumentation von Silbermarken vorgenommen, kleinen Stadtzeichen (Beschauzeichen) und Meistermarken, mit denen hochwertiges Silber an verborgener Stelle markiert wird. Im Bildarchiv des MHG fanden sich bei Ordnungsarbeiten 15 Pappschachteln mit insgesamt ca. 220 Glasnegativen, die die Aufschrift »Judensilber-Marken« tragen (Abb. 1).1 Der größte Teil der Negative konnte gesichtet und mit einem vorhandenen Inventarverzeichnis abgeglichen werden. Leider ließen sich damit nicht die ursprünglichen Eigentümer ermitteln.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1