Leseprobe

22 Vor außergewöhnlichen Herausforderungen stand das MHG von Beginn an. Noch zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs geplant und baulich imWesentlichen während des Ersten Weltkriegs errichtet, ging das Haus erst nach den fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen der Revolution von 1918/19 und also in einem nunmehr demokratischen deutschen Staatswesen an den Start. Die erste demokratische Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7. Januar 1921 war da gerade erst eineinhalb Jahre alt. Dass der Auftakt erfolgreich gelang, hat verschiedene Gründe. Manche prägen die Arbeit des Museums bis heute. Zu nennen ist hier zuallererst das markante Gebäude, das der Architekt und spätere Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher (1869–1947) in Zusammenwirken mit dem Gründungsdirektor Otto Lauffer (1874–1949) für das MHG erschaffen hat (Abb. 1). In bester, geschichtsträchtiger Lage auf dem Grund der ehemaligen Bastion Henricus am Holstenwall erweiterte es nach Fertigstellung den Kreis der bis dato bereits vorhandenen großen Museumsbauten der Hansestadt, bestehend aus Kunsthalle (1869), Museum für Kunst und Gewerbe (1877), NaturhistorischemMuseum (1891) und Völkerkundemuseum (1912), um ein weiteres repräsentatives Bauwerk. Die Fassaden mit dem charakteristischen roten Backstein deuten unverkennbar eine Verbindung zur architektonischen Tradition Hamburgs an. Darüber hinaus verzichtet der Schumacher-Bau allerdings im Äußeren wie im Inneren weitestgehend auf die Darbietung explizit historistischer oder historisierender Bauformen, wie sie in früherer Zeit gerade auch bei Bauten für historische Museen, zum Beispiel des Bayerischen Nationalmuseums, sehr verbreitet gewesen waren. Stattdessen stellen feinsinnig in die Fassaden und Innenräume integrierte Spolien, also Bauteile und Schmuckelemente aus älteren, längst untergegangenen Bauwerken in Hamburg, wie etwa dem Alten Rathaus, den eindeutigen Brückenschlag zu verschiedenen Epochen der hamburgischen Vergangenheit her und markieren das Haus unverkennbar als Geschichtsmuseum (Abb. 2). Schumachers Museumsbau erweist sich solchermaßen quasi als dienender Träger, als kongeniales Präsentationsgehäuse für die bewahrten Relikte der Vergangenheit und im Kern zugleich als zur Entstehungszeit moderne, sehr funktionale und durchaus selbstbewusste Museumsarchitektur. Diese spezielle, pathosfreie Kombination ebnete demMHG zweifellos bereits den Weg zu einer positiven Aufnahme bei den Besucherinnen und Besuchern im Jahr 1922. Sie erweist sich noch heute, mit wenigen notwendigen Anpassungen, als hervorragender Rahmen für die Erfüllung musealer Aufgaben auch des 21. Jahrhunderts. Dabei ist das Museum für Hamburgische Geschichte flächenmäßig zugleich eines der größten Stadtmuseen in ganz Europa.

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