Leseprobe

90 | Fehler 4: Ähnliches wie unter Punkt 3 gilt auch für die Hauptgesimse, mit denen die Fassaden nach oben abgeschlossen wurden. Hier ist es so, dass sowohl zierliche Abschlüsse mit zwei schmalen Gesimsen möglich sind, die ein farbiges Putzband einfassen. Es ist aber auch möglich, dass die Gesimse Teile einer kräftigen Gebälkformation sind, deren eingefasster Putzstreifen als Frieszone auch in der Steinfarbigkeit gestaltet sein müsste. Die Frage, ob der Streifen im Fassadenfarbton oder im Steinfarbton farbig zu fassen sei, hängt davon ab, ob die Fassade gestalterisch oben eine solche Betonung, ein solches Gewicht, benötigt: Bei Fassaden mit kräftigen Sockelzonen, starken Achsausbildungen und stehenden Fenstern wird dies zumeist der Fall sein. Bei Fassaden mit zierlichen Linien und ›schwebenden‹ Elementen trifft dies eher nicht zu. Das Studium der Klinkerfassaden hilft hier wieder, um die Gestaltungsmöglichkeiten besser zu verstehen. Falsch ist in jedem Fall, diese Frieszone unhinterfragt im Fassadenfarbton zu streichen. Eine Fassade, die zu den gelungenen Beispielen gehört, ist der Bischofsweg 40 (Abb. 139). SB Fehlerursachen Man könnte hier schlicht urteilen, dass es – aus welchen Gründen auch immer – kein Fehlerbewusstsein gibt. Selten nehmen Betrachter:innen Anstoß daran, wie die Fassaden heute farbig gefasst sind.106 Wir könnten auch urteilen, dass wir unvermindert die Nachwirkungen der Moderne erleben und es uns nicht wichtig ist, ob Architekturen nach Prinzipien wie ›tragend‹, ›lastend‹ oder ›schwebend‹ gestaltet wurden. Es genügt uns, wenn die Farbigkeit ›ansprechend‹ ist. Wir würden akzeptieren, dass wir für solche Feinheiten kein Auge und kein Gespür mehr haben, aber auch keinen Bedarf mehr sehen. Insofern ist es uns nicht wichtig – und unseren Umgang mit den Fassaden würden wir gar nicht als fehlerhaft einschätzen. Wenn man allerdings danach fragt, was es für Ursachen geben könnte, warumwir kein ›Gespür‹ mehr dafür haben, dann würde dies bedeuten, nach Gründen zu suchen, die unseren heutigen Umgang mitbeeinflusst haben könnten. Abb. 138 Talstraße 3: Putzflächen im Sandsteinton sind tektonisch eher den Gliederungselementen aus Sandstein zugeordnet Abb. 139 Bischofsweg 40: Die Entscheidung über die Farbfassung und Verteilung der Farbflächen ist vom Fassadenaufbau abhängig

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