8 Schmutzfahnen wir schätzen und deren entsprechenden Algenbewuchs wir als ›vegetabile Formen‹ im Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur als besonders wertvoll erachten? Wohl nicht . . . Sicher, diese Gedanken sind überspitzt und nicht zielführend, es sei denn, wir hinterfragen die abgeschafften (historistischen) Dekorationselemente der Architektur: Dabei müsste sich das Überdenken im ersten Schritt noch nicht einmal auf die möglichen sinnstiftenden Gehalte richten, sondern könnte der Frage folgen, welche Rollen die Elemente einst im Bezug zur Konstruktion besaßen. Eine erste Überlegung: Wenn (auch moderne) Architektur im Prinzip das Wechselspiel von Tragen und Lasten verkörpert oder Raum in den drei Dimensionen (Breite, Höhe, Tiefe; x-, y-, z-Achse) Gestalt gewinnt, sind dann nicht die horizontalen und vertikalen Linien und das Maß ihrer Tiefe(nstaffelung) für die jeweilige Architektur determinierend? Wären dann nicht solche vertikalen oder horizontalen Linien Repräsentanten der Konstruktion – letztlich wie auch in Architekturzeichnungen Flächen und Körper durch solche Linien definiert sind? Würden wir stattdessen – wie Loos vorschlägt (s. Kap. Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten, S. 70) – die Vertikale und Horizontale, im Element des Kreuzes (und Koordinatensystems) verbunden, bloß als Ornamente auffassen, würde dies auch bedeuten, die Grundbedingungen der Architektur und ihrer Konstruktionen in Frage zu stellen. Oder aber wir müssten ehrlicherweise das Lineament einer Architekturzeichnung wie eine dekorative, handwerklich geschickte Klöppelarbeit betrachten. Doch Linien bzw. Bauteile, die durch Linien verkörpert werden, können nicht nur dekorativer Natur sein. Eine Sockellinie fungiert wie eine Horizontlinie in einem Gemälde: Ihre Höhe über oder unter dem Augpunkt eines Betrachters legt fest, ob der/die Betrachter:in aus einer Untersicht oder einer Draufsicht auf ein Bauwerk schaut, letztlich ob eine Architektur eher monumental-abweisend oder eher intimzugänglich aufgebaut erscheinen wird. Auch kann eben mit weiteren Linien – wie zu zeigen sein wird – das Wechselspiel der Konstruktion, das Tragen und das Lasten, veranschaulicht werden. Die entsprechenden architektonischen Linien und Ausgestaltungen ihrer Schnittpunkte legen fest, ob eine Architektur eher leicht-sinnlich oder schwer-robust erscheinen wird (s. Kap. Die zwei konstruktiven Prinzipien: Tragen und Lasten, S. 70): Beispielsweise können wir uns davon lösen, dass die dorische Säulenordnung bloß eine historische Dekorform war. Stattdessen könnten wir sie auch als (beste?) gestalterische Möglichkeit schätzen, das Prinzip der Schwere und des Lastens darzustellen (Abb. 2): Das Gebälk ruht auf einer Platte (Abakus) und einem gedrückten Kissen (Echinus) auf, wodurch die Kräfte sichtbar werden. Der Säulenschaft ist stämmig und soll ›kräftig‹ bis ›martialisch‹ wirken. Bei einer griechisch-dorischen Ordnung fehlt der Säule ein zierlicher Fuß. Im Gegenteil dazu steht die korinthische Ordnung (Abb. 3): Ihre Blattkränze und Voluten Abb. 2 Schema einer dorischen Säulenordnung Abb. 3 Schema einer korinthischen Säulenordnung
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