27 Das gebildete Europa war beeindruckt. Ausländische Reisende, die ihre Gedanken über die Niederlande zu Papier brachten, äußerten zumeist ihr Staunen. Selbst wo politische Überzeugungen eine kritische Haltung vorgaben, werden zwischen den Zeilen Bewunderung und Respekt deutlich.1 Auf der Landkarte des höfischen Europas der Vormoderne war und blieb die niederländische Republik eine Ausnahme, deren Entstehung einer Verkettung historischer Umstände zu verdanken war und die reiche Kunstproduktion des sogenannten Goldenen Zeitalters ermöglichte. Als rhetorischer »Gemeinplatz« der klassischen Literatur fand die aurea aetas ihre bekannteste Ausformung in Ovids Metamorphosen.2 Er beschrieb jene glückliche Epoche, in der es im Anschluss an die Erschaffung des Menschen keine Gesetze, Furcht, Strafe, Seefahrt oder Krieg gab. Die Welt des Goldenen Zeitalters war frei von Zwang; es flossen Milch und Honig. Es folgte ein Silbernes Zeitalter, in dem Ackerbau und Architektur erfunden wurden. Im Bronzenen Zeitalter waren die Menschen schneller zum Krieg bereit, bis schließlich jenes bis in die Gegenwart reichende Eiserne Weltalter begann, das von Krieg und Mord geprägt ist. Wo immer man in der heute als »golden« bezeichneten Epoche der Vormoderne den klassischen Topos bemühte, war seine utopische Dimension gemeint. Das in Gemälden beschworene Goldene Zeitalter galt als unwiederbringlich verloren und war von der zeitgenössischen Realität – von Krieg geprägt – denkbar weit entfernt. Die Einschränkung der Glaubensfreiheit unter dem spanischen König Philipp II., dessen zentralistische und alte Privilegien einschränkende Politik sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten in den habsburgischen Niederlanden zwischen 1579 und 1581 nach Aufstand und militärischer Intervention unter Herzog Alba zur Gefolgschaftsverweigerung der sieben nördlichen Provinzen geführt, den heutigen Niederlanden.3 80 Jahre lang, von 1568 bis 1648, erkämpften und verteidigten die Vereinigten Provinzen ihre Herauslösung aus der habsburgischen Herrschaft. Auch nachdem der Doppelfrieden von Münster und Osnabrück die De-jure-Anerkennung des neuen Staatswesens gebracht hatte, folgten weitere Kriege, vor allem mit Frankreich und England. Es versteht sich, dass dieser Essay die historische Entwicklung nur in Ansätzen referieren kann. Die folgenden Ausführungen sollen nur einen Einblick in die reiche Kultur- und Wirtschaftsgeschichte geben, vor deren Hintergrund erst die so zahlreich überlieferten Bilder der Zeit verständlich werden. Die Niederlande im Goldenen Zeitalter N I L S BÜT TNE R Abb. 1 JAN S T E EN Adolf und Catharina Croeser (Der Bürgermeister von Delft und seine Tochter) 1655 Öl auf Leinwand 106 × 96 cm Amsterdam, Rijksmuseum, SK-A-4981
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