Leseprobe

140 Blütenpracht und Tulpenwahn Pflanzen aus aller Welt Nichts wissen wir über Deutung und Absicht der Person, die den Korb geschaffen hat. Auch wenn es heißt, dass solch gemalte Blumenkörbe allein der Augenlust dienten, gehörten zur Betrachtung von Gemälden grundsätzlich eigene Gedanken, ja Selbstgespräche über das Gezeigte – daneben und vor allem die Unterhaltung mit geladenen Gästen vor solch prestigeträchtigen Darstellungen. Je nach Interesse und Wissen der Betrachtenden gingen Gespräche eventuell über die künstlerische Qualität und über den Preis des Bildes, über die abgebildeten botanischen Raritäten oder inhaltlich über die Vergänglichkeit der bald vertrockneten Blumen, über die Lebendigkeit der beiden nur gemalten krabbelnden Käfer, der eine auf der Suche nach Blattläusen, der andere ein Bienenkäfer oder Bienenwolf, der sich von Blütenstaub ernährt. Immerhin war seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert ein erstes gesellschaftlich breites Interesse an Natur und Umwelt geweckt. Die botanisch Interessierten, als bloemisten bekannt, erwarben Wissen in der Natur, doch mehr im Garten. Angesichts gemalter, exakter Abbilder ließ es sich dann auch im Winter begeistern und fachsimpeln. Wer auch immer den Bonner Korb nach einer beliebten Komposition Jan Brueghels d. Ä. (1568–1625) gemalt hat, war im Bereich der Blumenmalerei hochspezialisiert. Sicher, routiniert und locker im Pinselstrich präsentiert das Bild die volle Pracht der Frühlingsblüher. Bislang gilt das Stillleben als von anonymer Hand aus Antwerpen in den südlichen Niederlanden geschaffen; wie damals so häufig finden sich weder Signatur noch Datum. Um wen könnte es sich gehandelt haben? Vielleicht um den Sohn des älteren Jan, des sogenannten Blumen-Brueghels, um Jan Breughel d. J. (1601–1678)? Vielleicht. Denn auf der Rückseite offenbart die Holzplatte eine Schlagmarke der Antwerpener Malergilde, die einen Hinweis auf ihre zeitliche Entstehung gibt. Deren Köreisen wurde zwischen 1618 und 1627 verwendet.2 In diesem Jahr schrieb Sohn Jan, dass er einen und noch einen mand, einen Korb mit Blumen, gemalt hätte – und das zu einem Zeitpunkt, als er mit Kopien nach den Kompositionen seines verstorbenen Vaters viel Geld verdiente. Jan galt zu dieser Zeit als einer der besten Kopisten der väterlichen Vorbilder. Im Januar 1635 äußert er, dass er für zwei große Tulpen einen Tag bräuchte, und stellte für ein Gemälde mit 30 Tulpen einem Antwerpener Kunsthändler 228 Gulden in Rechnung, der es mit einem gehörigen Preisaufschlag weiterverkaufen konnte.3 Was für Antwerpen galt, lässt sich ohne Weiteres auf Amsterdam und die nördlichen Niederlande übertragen. Der hohe Wert, der den Blumenbildern zugemessen wurde, kam nicht von ungefähr. Vielmehr dokumentieren sie ein gewachsenes Interesse an botanischen Fragen, das nicht zuletzt mit dem weltweiten Handel der südlichen und nördlichen Niederlande wie auch der europäischen Entdeckung anderer Kontinente einherging. Dahinter verbargen sich sowohl wissenschaftliche, aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen. In medizinischen Gärten wie dem Hortus Medicus Amstelodamensis (gegründet 1638) wurden nicht nur Pflanzen mit medizinischem Wert oder Gewürzkräuter, sondern auch exotische Zierpflanzen gesammelt und gezüchtet. So verwundert es nicht, dass 1682 auf Initiative zweier Ratsherren der Stadt Amsterdam, Joan Huydekoper, Bürgermeister und Direktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC), und Jan Commelin, erfolgreicher Händler von Gewürzen und pharmazeutischen Waren sowie Verfasser botanischer Bücher, eine ambitionierte Neugründung dieses Gartens erfolgte. Neben Heilpflanzen war dieser Hortus europaweit einzigartig in seiner überreichen Fülle von Heilkräutern und »vreemde gewassen«, fremden Gewächsen.4 Er wurde mit einer eigenen, noch heute existenten Bibliothek ausgestattet. Professoren hielten dort Vorlesungen über die Pflanzen und ihren medizinischen Nutzen. Nur wenige Jahre nach Entstehung des Gartens ließen die beiden Gründungsväter seit 1686 Aquarelle der dort wachsenden Pflanzen auf Pergament als eine Art gemaltes Herbarium anfertigen. Bis 1709 entstanden so 420 Pflanzenporträts aus dem Amsterdamer Garten, die gebunden und zu einem neunbändigen Kompendium zusammengefasst wurden. Ein einzigartiges wissenschaftliches Arbeitsinstrument entstand, der sogenannte MoninckxAtlas, bezeichnet nach Jan Moninckx (um 1656–1714) und seiner Tochter Maria (1673–1757), auf die der größte Teil der Aquarelle zurückgeht. Eine Klassifikation der Pflanzen im heutigen Sinn gab es im 17. Jahrhundert allerdings noch nicht. Erst der schwedische Wissenschaftler Carl von Linné (latinisiert: Carl Linnaeus; L.) führte im 18. Jahrhundert die Grundlagen einer noch heute gültigen Nomenklatur ein. Bis dahin versuchte man durch kleinteilige Angaben zum Aussehen, Pflanzen in Klassen einzuteilen. Wie präzise dabei gearbeitet wurde, belegte Linné selbst, der sich in seinen Schriften immer wieder auf Jan Commelin und dessen Neffen und Nachfolger Caspar sowie die Beschreibungen und Illustrationen des Atlas berief. Was also mit ersten Importpflanzen und frühen Abbildungen auf unserem Kontinent im 16. Jahrhundert begann, fand im 17. Jahrhundert ein vermehrtes, naturwis­

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