Leseprobe

200 Geld regiert die Welt Zahlen bitte – aber wie? Bei Gijsbrechts’ Gemälde handelt es sich um ein sogenanntes Trompe-l’Œil-Stillleben, um illusionistische Malerei also, die darauf abzielt, das Auge zu täuschen. Es gibt vor, ein in der Wand eingelassener Kabinettschrank zu sein, indem es jene Merkmale verschleiert, die es als Bild ausweisen. Wo andere Stillleben, egal wie überzeugend sie gemalt sein mögen, spätestens durch ihren Rahmen als von der Realität unterschiedene Bilder erkennbar werden, spielt Gijsbrechts mit dieser Grenze. Bei ihm wird der Rahmen zum Bestandteil der Malerei. Er trennt Bild und Realität nicht mehr voneinander, sondern verbindet sie. Der gemalte Holzrahmen des Schranks ermöglicht es dem Künstler, die geöffnete Tür zu fingieren, die vermeintlich in den Raum der Betrachtenden ragt. Die Oberfläche des Bildes löst sich auf. Die dargestellten Gegenstände befinden sich sowohl vor als auch hinter ihr – die Illusion ist allumfassend. Immer schwingt bei Stillleben die Frage nach Schein und Sein mit. In Trompe-l’Œil-Bildern wird dieses Spannungsfeld besonders deutlich, weil sie die Illusion zu ihrem eigentlichen Thema machen.2 Je besser es dem Künstler gelingt, unsere Augen zu täuschen, desto wertvoller ist seine Malerei. Doch die Illusion will durchschaut sein, denn die Meisterschaft können wir erst dann würdigen, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass wir keine echten Gegenstände sehen, sondern nur kunstvoll arrangierte Farben auf einer Leinwand. Unweigerlich rückt damit auch die Materialität des Bildes in unser Bewusstsein und mit ihr die Frage, wonach wir eigentlich seinen Wert bemessen – nach seinem Material, seiner Kunstfertigkeit, seiner Seltenheit, seinem Nutzen? Wert ist eine kulturelle Festlegung, setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen und kann abhängig vom Standpunkt unterschiedlich ausfallen. Es passt zum illusionistischen Charakter von Gijsbrechts’ Malerei, dass er seinen Wandschrank mit Gütern füllt, die alle als äußerst wertvoll gelten, obgleich ihr Wert ganz unterschiedlich begründet ist. Ein Vertragsdokument kann viel wertvoller sein als eine ganze Schublade voll Münzen, obwohl diese aus Silber bestehen, das Schriftstück hingegen nur aus schlichtem Papier. Eine kunstvoll getriebene Silberschale übertrifft durch die Bearbeitung ihren reinen Materialwert bei Weitem. Und selbst in einer stummen Flöte schlummert – richtig eingesetzt – ein hohes kulturelles Kapital. Deutlich wird, dass der Wert eines jeden Dings in gewisser Weise

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