201 ebenso eine Illusion darstellt wie Gijsbrechts’ Gemälde, aber eine, auf die sich alle geeinigt haben und die damit Gültigkeit gewinnt – eine Gültigkeit allerdings, die immer wieder neu ausgehandelt werden muss. Die Niederlande gelten als erfolgreichste Handelsnation des 17. Jahrhunderts. Ausführliche Beschreibungen ihrer weltweiten Aktivitäten sind Legion. Sie legen dar, mit welch raffinierten, aber auch rücksichtslosen Methoden die junge Republik ihren globalen Einfluss durchsetzte und zu sichern wusste (siehe S. 67). Doch wie sich der Handel mit den importierten Gütern in den Niederlanden selbst vollzog, wird seltener beschrieben. Dabei ist das ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtbilds. Schließlich erreichten Unmengen von Gütern täglich den Hafen von Amsterdam, dem damaligen Drehkreuz des internationalen Handels. Noch bevor die Ladungen der Schiffe gelöscht waren, wurde ihre Fracht schon verkauft – mit anderen Worten: ein Wert für die importierten Waren ausgehandelt und ihnen zugewiesen. Der Handel mit den frisch eingetroffenen Waren vollzog sich seit 1611 in der Amsterdamer Börse. Der Rat der Stadt hatte die Errichtung des Gebäudes angesichts des ständig wachsenden Warenvolumens beschlossen, dessen Umfang sich durch die neuen Güter der 1602 gegründeten Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) noch zusätzlich vermehrte. Der Bau wurde nach Plänen des bedeutenden niederländischen Architekten Hendrick de Keyser (1565–1621) im Herzen der Stadt direkt beim Rathaus ausgeführt.3 Auf diese Weise entstand ein zentraler Handelsplatz, an dem Kaufleute aus aller Welt miteinander ins Geschäft kommen konnten, ohne dass die Stadt die Kontrolle über ihr Tun verlor. Die Börse bestand aus einem weitläufigen Hof mit Arkaden (siehe S. 16 f., 50). Für jede einzelne Ware war ein eigener Bereich in den Säulengängen vorgesehen. Die Offenheit der Architektur garantierte ganz buchstäblich eine hohe Transparenz bei der Preisbildung. Aber nicht nur hier, sondern auch in den speziell dafür ausgewiesenen Räumlichkeiten im Inneren des Baus wurde Handel getrieben. 1617 und damit nur wenige Jahre nach der Amsterdamer Börse öffnete ein zweiter Handelsplatz seine Tore, die auf den besonders wichtigen Getreidehandel ausgerichtete Korenbeurs (Kornbörse) (siehe S. 93).4 Die Errichtung der Börsengebäude war nicht die einzige Reaktion auf die wachsenden Herausforderungen des internationalen Handels. Zwar gab es nun einen zentralen Ort, an dem die Handeltreibenden zusammentreffen konnten, doch musste ein Geschäft auch abgeschlossen, das heißt, der Preis der Güter eingeschätzt und festgelegt werden. Das war gleich in doppelter Hinsicht schwierig. Erstens hing der Warenwert von vielen Faktoren wie etwa der Nachfrage ab. Da konnte jede Information Einfluss auf die Preisbildung haben, zum Beispiel das Wissen um die bevorstehende Ankunft eines glücklich heimkehrenden Ostindien-Fahrers. Kein Wunder also, dass sich die Amsterdamer Börse schnell auch zum größten Umschlagplatz von aktuellen Nachrichten in Europa entwickelte. Zweitens bedurfte es beim Handeln einer gemeinsamen Geldeinheit als Referenzrahmen. Immerhin trafen Kaufleute aus vielen Nationen in Amsterdam aufeinander und mit ihnen verschiedenste Währungen. Wie konnte da Vergleichbarkeit erzielt werden? Es bleibt übrigens noch eine weitere Frage: Erzielten zwei Parteien schließlich Handelseinigkeit, wie wurde dann die Bezahlung vorgenommen? Ein Händler wird wohl kaum Kisten voller Münzen zur Amsterdamer Börse geschleppt haben, um seine Geschäfte zu realisieren. Hier kommt die 1609 gegründete Amsterdamer Wisselbank (Wechselbank) ins Spiel, die ihren Platz im Rathaus und damit in unmittelbarer Nähe zur Börse hatte. Ihre Aufgabe war es, die genannten Probleme zu lösen und für die Sicherheit der Zahlungsmittel zu bürgen. Doch um die Funktion der Bank besser zu begreifen, ist es notwendig, zunächst einmal zu verstehen, was Geld damals überhaupt ausmachte und wie es funktionierte. Anders als heute waren im 17. Jahrhundert viele verschiedene Währungen im Umlauf, schließlich ließ ein jeder Souverän seine eigenen Münzen prägen. Doch hing ihre Zahlkraft weniger von der Autorität der jeweiligen Landesregierungen ab, sondern zunächst einmal von ihrem Materialwert. Dieser ergab sich aus dem Gold- oder Silbergehalt einer Münze sowie ihrem Gewicht. Anhand dieser beiden Kriterien ließen sich die einzelnen Währungen vergleichen, ohne dass es eines staatlichen Bankwesens im heutigen Sinne bedurft hätte. Zur zusätzlichen Kontrolle definierte ein eigens für Münzfragen verantwortliches Gremium (Raden en Generaalmeesters van de Munten der Vereenigde Nederlanden) am Regierungssitz in Den Haag die Verhältnisse der Münzen zueinander, wobei ihm der silberne stuiver (Stüver) als Referenzeinheit diente. Wiederholt wurden offizielle Überblickslisten mit den zahlreichen Münzwerten publiziert. Das vereinfachte die Situation allerdings nicht unbedingt, waren doch auch Edelmetalle nicht gegen Wertveränderungen gefeit. Folglich konnten Materialwert und festgelegter Nennwert eines Geldstücks auseinandertreten. Ein ständiges Justieren war gefragt. Schon diese kurze Beschreibung lässt erahnen, wie schwierig unter solchen Bedingungen die Handhabe von Geld gewesen sein muss. Abgesehen davon, dass Menschen zahlreiche europäische Münzen nach ihrem Aussehen und Wert sowie in Relation zu anderen Münzen kennen mussten, barg dieses System weitere Unsicherhei14 Detail
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